Die Eroberung des Luftraums

Stell dir den Horror eines heiteren, offenen, städtischen Platzes vor: Das Guggenheim flaggt in Bonn. Die Banner werben penetrant für die große Selbstdarstellungsschau, die am 21. Juli in der Kunst- und Ausstellungshalle eröffnet

Stell dir Erinnerung ohne Erfahrung vor: „Imagine Memory Without Experience“ steht da in riesigen Versalien auf einem Transparent. Will ich gar nicht. Denn ich weiß aus Erfahrung, dass hier einmal ein sehr schöner urbaner Ort war. Hier, auf dem Platz zwischen der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik und dem Kunstmuseum Bonn. Das war 1992, als die „Bonner Museumsmeile“ wie der Phoenix aus der Asche an der B 9, gegenüber dem ehemaligen Regierungsviertel, aufgetaucht war. Kurz gab es zwischen den Bauten von Gustav Peichl und Axel Schultes eine offene Piazza, die Lust machte, sich in einem der beiden Cafés niederzulassen, im Ausstellungskatalog zu blättern, einen Aperitif zu nehmen. Eine elegante Oase, die man der Stadt nicht zugetraut hätte. Und manchmal beschlich mich das Gefühl, ich sei vermutlich gar nicht in Bonn. Doch das dauerte Gott sei Dank nicht lange.

Einfach nur leerer Raum zwischen zwei so interessanten Immobilien, das war zu viel des Luxus. Jahr für Jahr wurde der Platz seit 1995 konsequent vermüllt. Ein Zelt kam her, um Rock- und Popkonzerte im Namen der Kunst- und Ausstellungshalle zu veranstalten, die man auch an anderer Stelle abhalten könnte. Natürlich werden alle Konzertbesucher als Kunsthallenbesucher mitgezählt – gut für die Quote. Fortan war es vorbei mit der Großzügigkeit der Anlage. Die Hecke, die den Platz abschließt, ist kaum noch zu sehen; unter der Ahorn-Reihe in der Platzmitte parkt ein Bierwagen. Den Blick von der B 9 Richtung Godesberg auf den Platz verbarrikadieren sechs weiße Zelthäuschen, bestimmt für Garderobe, Einlass und Pfand-Rückgabe.

Dieses Jahr, endlich, war der Luftraumes über dem Platz fällig. Sechs riesige Transparente, zwischen den Corten-Stahl-Säulen der Bundeskunsthalle gespannt, bereiten das Bonner Publikum mit einer Art Gehirnwäsche auf die Präsentation des New Yorker Guggenheim-Museums vor, die an dieser Stelle am 21. Juli eröffnet. „The Guggenheim Is The Agent For Popular Culture“, „The Guggenheim Is Not A Place“ oder „Imagine a Museum Without Walls“ ist dort zu lesen. Geht es noch schwachsinniger? Wenzel Jacob, Intendant der Bundeskunsthalle, und Thomas Krenz, Direktor des Guggenheim, haben das Konzept mit New Yorker Künstlern entwickelt. Die Transparente „sind als Teil der Guggenheim-Ausstellung gedacht und dienen gleichzeitig als optisches und inhaltliches Bindeglied zwischen den Gebäuden der Bundeskunsthalle und dem städtischen Kunstmuseum, wo ein Teil der Ausstellung stattfinden wird“, schreibt Winfried Gatzweiler, Betriebsdirektor, in einem offenen Brief, den der Bonner General-Anzeiger in Auszügen veröffentlichte.

Es ist erstaunlich, dass Leute, die selbst mit künstlerischen Fragen befasst sind, so grob das Copyright des Architekten Gustav Peichl verletzen und dem einst so schönen Platz einen weiteren optischen Tiefschlag versetzen. Zwar tobt im General-Anzeiger eine Leserbriefdiskussion, und auch der Kulturausschuss hat sich bereits mit dem Problem beschäftigt und Kritik geübt. Doch die Transparente werden bleiben – bis zum Ende der Ausstellung im Januar 2007. Ich warte schon mit Spannung darauf, was den Vertretern der populären Kultur als nächstes einfällt. Wäre doch gelacht, wenn man diesen Platz nicht dauerhaft ruinieren könnte. Zum Teufel mit der Schönheit.

BARBARA WEIDLE