berliner szenen Charmingoffensive

Pflaumen verschenken

Die Tempelherrenstraße ist eine gutbürgerliche Sackgasse mit großen Bäumen. Am einen Ende ist der Landwehrkanal, am anderen eine deutschlandbefahnte Kneipe. Ich war vom Wasser her gekommen und in Gedanken, als das kleine Mädchen mich ansprach. Sie war vielleicht sieben, hatte lange, dunkelbraune Haare und fragte, ob ich eine Pflaume haben wolle. Sie trug einen Korb mit diesen Früchten, die allerdings noch grün waren. Ich sagte: „Die kann man doch noch gar nicht essen. Die sind doch noch grün.“

„Das macht aber nichts“, sagte sie.

So nahm ich eine. Die Pflaume fühlte sich angenehm glatt und frisch an im Mund. Ich biss ein Stück ab. Es schmeckte sauer, eigentlich ganz gut. Das Mädchen begleitete mich ein paar Meter und ich war ein bisschen verlegen, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich stellte mir vor, sie sei ein Migrantenkind und hätte gehört, wie schlecht über Migrantenjugendliche gesprochen wird, und deshalb hätte sie eben ihre eigene kleine Charmingoffensive gestartet. Wahrscheinlich stimmte das gar nicht.

Dann lief sie zu einem hageren Langhaarigen, der ein paar Meter vor uns ging. Der Mann war, so stellte ich ihn mir vor, ein ehemaliger Haschrebell. Nach anfänglichem Zögern nahm er eine Pflaume. Er freute sich, glaube ich, dass sie ihn angesprochen hatte, wurde aber auch gleich wieder verlassen, denn als Nächstes ging das Mädchen zu einer alten Frau, die in einem Eingang stand und dabei war, die Haustür aufzuschließen.

Ich sah nicht, ob sie eine nahm, ging weiter, blickte mich noch einmal um, spuckte den Rest der Pflaume auf den Boden und winkte ihr zum Abschied, obgleich sie nicht zu mir hinguckte. DETLEF KUHLBRODT