Ein wandelndes Mysterium

Der Coach Lars Lagerbäck gilt als verschroben – und schweigt zu Taktik-Querelen in der schwedischen Mannschaft

AUS BREMEN RONNY BLASCHKE

Seine Kritiker fordern nun ein Machtwort. Manchmal, wenn Lars Lagerbäck eine Frage unangenehm erscheint, lehnt er sich zurück und schweigt. Er überlegt einen Moment, um sich eine Antwort zurechtzulegen. Nie würde er brisante Inhalte preisgeben, Lagerbäck ist Diplomat durch und durch. Oft redet er an der Kritik vorbei, zielsicher und berechnend. Das erspart ihm Ärger, beliebter macht ihn das nicht. Die Schweden respektieren ihn, verehren werden sie ihn wohl nie. Dabei ist er einer der erfolgreichsten Trainer des Landes.

Seit sechs Jahren betreut Lagerbäck die schwedische Nationalmannschaft, unter seiner Führung qualifizierte sich das Team für alle großen Turniere. Das sage doch einiges, findet der 57-Jährige, und trotzdem glauben die Fans ihn noch immer nicht zu kennen. Für sie ist er ein wandelndes Mysterium, ein unnahbarer Geheimniskrämer. „Ich weiß, was ich zu tun habe“, sagt Lagerbäck und lächelt kühl, „aber das muss ich niemandem mitteilen.“

Ein Blick in die Vergangenheit hilft, diese notorische Zurückhaltung zu deuten: Lars Lagerbäck war nie ein großer Fußballer, anders als einige seiner Vorgänger schaffte er es nur in die dritte schwedische Liga. Auch als Coach war er zunächst nur für unterklassige Teams und Juniorenmannschaften verantwortlich. 1998 berief ihn Nationaltrainer Tommy Söderberg zum Assistenten. Das Duo harmonierte so gut, dass Lagerbäck zwei Jahre später zum gleichberechtigten Trainer befördert wurde. Die Aufgaben waren klar verteilt: Söderberg, ein witziger Mann, war der Kommunikator, er hielt Spieler und Journalisten bei Laune. Lagerbäck, studierter Sport- und Politikwissenschaftler, war der Taktiker, er erforschte das Spiel bis ins Detail. Bis heute wurde nicht eine Meinungsverschiedenheit bekannt, in den schwedischen Zeitungen verschmolzen beide Figuren zu Larstommy. Lagerbäck fasst die einstige Zusammenarbeit so zusammen: „Ich denke nach, bevor ich rede, Tommy folgte mehr seinen Gefühlen.“

Söderberg beendete nach der EM 2004 seinen Dienst, Lagerbäck blieb. Der Mannschaft ging die Stimme verloren, das Hirn blieb zurück. Negative Auswirkungen hatte das zunächst nicht. Schweden qualifizierte sich für die WM, das Team spiele solide, nicht überragend. Erst jetzt stößt der Wissenschaftler Lagerbäck mit seinem bedeutungsschweren Kalkül an Grenzen. 0:0 spielt Schweden gegen Trinidad und Tobago. Gegen Paraguay reichte es zu einem 1:0 in der Schlussminute. Das allein ist nicht entscheidend für die scharfe Kritik der schwedischen Medien an Lagerbäck. Der Grund ist vielmehr die gereizte Atmosphäre, die Bildung verschiedener Fraktionen um Olof Mellberg und Fredrik Ljungberg. Der Abwehrchef und der offensive Mittelfeldspieler haben einen Taktikstreit entfacht. Mellberg ist Vertreter der rustikalen Defensive mit weiten Pässen, Ljungberg bevorzugt das schnelle Kurzpassspiel.

Der Gemeinschaftssinn, die Rettungsweste der Schweden, scheint zu schwinden. Und der Trainer schaut tatenlos zu. Lagerbäck ist der Meinung, dass die Gruppe den Konflikt selbst lösen muss. Bewusst verzichtete er zuletzt auf die Teilnahme an einigen Teambesprechungen. Wieder einmal wählt er den Weg der Diplomatie, womöglich, weil er sich nicht mit den Leitfiguren in der Offensive anlegen will. Ein Streit mit den einflussreichen Fredrik Ljungberg, Henrik Larsson oder Zlatan Ibrahimovic, der im letzten Gruppenspiel gegen England ausfallen wird, könnte ihm in der Öffentlichkeit schaden. Lagerbäck gilt als Freund des Sicherheitsfußballs. Es gab Zeiten, da meldete sich selbst Schwedens Premierminister Göran Persson zu Wort. Er forderte mehr Mut in der Offensive. Lagerbäck reagierte wie so oft – schweigend.

Seine Kritiker fordern nun ein Machtwort, doch Lagerbäck hasst strenge Hierarchien. „Ich muss mich nicht nach Journalisten richten“, sagt er. „Die Spieler müssen die Antwort auf dem Platz geben.“ Ob ihnen das gegen England und in einem möglichen Achtelfinale gegen Deutschland gelingen kann, ist fraglich. Sollte Schweden doch noch ausscheiden, würde Lagerbäck wohl von seinem Amt zurücktreten, das glauben zumindest langjährige Beobachter. Er hätte dann wieder Zeit für den Bauernhof seiner Eltern im dünn besiedelten Norden von Schweden. Dort wandert er gern durch den Wald. Ohne bohrende Fragen und wütende Streithähne.