Mit einem Trainingsspiel ins Achtelfinale

Die zum zweiten Mal nur mäßig aufspielenden Brasilianer schlagen respektlose und chancenreiche Australier mit 2:0

MÜNCHEN taz ■ Guus Hiddink scheint ein großer Freund des brasilianischen Fußballs zu sein. Entzückt beobachtete der Trainer der australischen Mannschaft minutenlang das Aufwärmprogramm der Südamerikaner, das seiner eigenen Mannschaft interessierte den Niederländer dagegen weniger. Als die Brasilianer dann zur letzten Einstimmung, zum letzten Gebet noch einmal in die Kabine verschwanden, fing Hiddink sie ab, schüttelte ihnen die Hände – und Roberto Carlos bekam sogar ein Küsschen auf die Wange gedrückt. Gegen Ende des Spiels haute sich der 59-Jährige dagegen nur noch selber auf die Backe. Aus Verwunderung über manchen in seinen Augen fragwürdigen Pfiff des deutschen Schiedsrichters Markus Merk. Und weil seine Spieler beim Stand von 0:1 reihenweise Gelegenheiten ausließen, den großen Favoriten anständig zu blamieren. Am Ende aber gewannen die Brasilianer dann doch standesgemäß mit 2:0.

Zwei Auftritte auf Sparflamme bei dieser WM genügten dem fünfmaligen Weltmeister für den vorzeitigen Sprung ins Achtelfinale – wobei ihr Trainer den extrem defensiv eingestellten Gegner für das zweite lauwarme Spiel mitverantwortlich machte. „Am Anfang hat Australien sehr dicht und sehr langsam gespielt, da war nicht viel Platz für uns“, entschuldigte sich Carlos Alberto Parreira ein bisschen und vertröstete die Anhänger von aufregenderem Fußball auf spätere WM-Spiele. „Wir haben in der WM-Vorbereitung wenig Spiele gemacht“, betonte der 63-Jährige. „Doch je öfter wir hier spielen, umso besser wird die Mannschaft als Gruppe zusammenwachsen.“

Ein verschworener Haufen von eisenharten Spielern sind Hiddinks Australier jetzt schon. „Ich bin stolz darauf, wie mein Team gespielt hat“, würdigte der Coach die durchgehend konzentrierte Bearbeitung des Gegners durch seine Akteure. Schaffen die Kämpfer aus Down Under in ihrem letzten Gruppenspiel gegen Kroatien nun mindestens ein Remis, stehen sie im Achtelfinale. „Und damit“, sagt Hiddink in einer Art Vorab-Stolz, „hätte vorher niemand gerechnet.“

Zu rechnen gewesen war dagegen mit dem gestrigen Einsatz des bekanntlich etwas kurzatmigen Ronaldo. Immerhin hatte sein Trainer die erneute Nominierung des 29-jährigen Stürmers in seine Startelf trotz Ronaldos lahmen Auftritts gegen Kroatien überdeutlich angekündigt. Sehr erbaulich sah es allerdings nicht aus, was der Angreifer von Real Madrid in München so anstellte: Er wurde am Schienbein verletzt, weil er zu langsam war, sah Gelb für einen Torschuss nach Abseitspfiff, vergab eine Torchance ausgesprochen jämmerlich. Und für seinen Konterkillerpass auf Roberto Carlos kurz vor der Pause hätte der Kollege Ronaldo am liebsten in der Luft zerrissen.

Kleiner Trost für Ronaldo: Selbst Alleskönner Ronaldinho stolperte in der dürftigen ersten Halbzeit im australischen Strafraum einmal bei einem Dribbelversuch über den Ball. Nach dem Wechsel wurde das Spiel dann immerhin spannender. Vier Minuten nach Wiederbeginn legte Ronaldo einen hübschen Pass von Ronaldinho quer auf Sturmpartner Adriano – und nach dessen gezieltem Schuss ins untere Toreck führte Brasilien mit 1:0.

Das war auch das Signal für die Australier, eine ihrer beiden Abwehrreihen doch langsam aufzulösen und verstärkt ins Offensivspiel einzubinden. Die Maßnahme hatte auch prompt Folgen, nicht zuletzt dank des fehlerhaften Spiels der Brasilianer. In regelmäßigen Abständen kam die Hiddink-Elf zu Großchancen durch die beiden eingewechselten Kräfte Marco Bresciano (68., 80.) und Harry Kewell (57., 68.) sowie Mittelstürmer Mark Viduka (86.). Wie das mit dem Toreschießen aber richtig geht, zeigten ihnen dann eine Minute vor Schluss noch einmal die Brasilianer: Der gerade erst ins Spiel gekommene Fred, 22 Jahre jung, passte quer zu Robinho, um dessen Schussversuch drei Sekunden später selbst zu vollenden. Ein wahrhaft stürmischer Kurzeinsatz – im Gegensatz zur sonstigen Langatmigkeit der Brasilianer. Kein Wunder, dass Trainer Parreira erst einmal durchschnaufte. „Das war sehr wichtig für uns, nicht vom letzten Spiel abhängig zu sein“, meinte er. Und vielleicht wird er die ein oder andere Stammkraft gegen Japan jetzt pausieren lassen. Zum Beispiel Herrn Ronaldo. ANDREAS MORBACH