Konzert mit Dissonanzen

Frankreich erreicht im zweiten Gruppenspiel gegen Südkorea nach einer guten ersten Halbzeit wieder nur ein Unentschieden. Dem Team droht das frühe Aus – und Zidane ein unrühmliches Karriereende

AUS LEIPZIG ANDREAS RÜTTENAUER

Raymond Domenech wollte die große Band, die die Massen am Ende des 20. Jahrhunderts elektrisiert hatte, noch einmal zusammenbringen. Als er Trainer der französischen Nationalmannschaft wurde, hat er Zinedine Zidane, den in Frankreich kaisergleich Verehrten, zu einem Comeback in Blau überredet. Auch Liliam Thuram, der elegante Defensivspieler aus dem Weltmeisterteam von 1998, sollte unbedingt wieder auftreten. Das Ziel war das Finale 2006.

Frankreich hatte geplant, noch ein paar großartige Konzerte zu spielen. Das Turnier in Deutschland sollte die Abschiedstournee eines Ensembles werden, von dem jeder weiß, dass seine Zeit abgelaufen ist, dessen Musik aber noch in den Ohren vieler Fans nachklingen wird. Im ersten Spiel der WM haben sie den Ton nur allzu selten getroffen. Hochkonzentriert gingen sie ihren zweiten Auftritt an. Gegen Südkorea war es wieder zu sehen, jenes besondere Gespür für das Spiel. Das Orchester harmonierte, 45 Minuten lang lief das Spiel der Franzosen rund. Das Tempo war nicht hoch, es war wohl dosiert. Und dennoch war etwas anders an jenem Abend in Leipzig. Die erste Geige wurde nicht mehr von Zinedine Zidane gespielt. Thierry Henry gab den Ton an. Und er war es auch, der am Ende am traurigsten darüber war, dass das Konzert trotz eines harmonischen Beginns mit vielen Dissonanzen endete.

„Wir haben so viel besser gespielt als gegen die Schweiz“, sagte er enttäuscht. Ganz lange nahm er sich Zeit, um nach der Begegnung auf Journalistenfragen einzugehen. Und immer wieder äußerte er sein Erstaunen darüber, dass es den Koreanern zehn Minuten vor Schluss gelungen ist, durch Park Ji Sung den Ausgleich zu erzielen. „Eigentlich haben wir doch gut verteidigt“, klagte er. Und er hatte durchaus Recht. Patrick Vieira, dem im Spiel gegen die Schweiz nicht viel gelungen war, zeigte endlich wieder, was er kann. Zusammen mit Claude Makelele sorgte er im defensiven Mittelfeld dafür, dass beinahe kein Angriff der Koreaner auch nur bis in die Nähe des Strafraums vorgetragen werden konnte. Immer wieder waren es seine Pässe, die die Angriffe der Franzosen eingeleitet haben. Sogar ein Tor ist ihm gelungen, eigentlich. Sein Kopfball in der 28. Minute war hinter Linie. Der Schiedsrichter aber war der Meinung, der koreanische Torwart habe den Ball erwischt, bevor er die Linie überschritten hat. Es blieb beim 1:0, das Henry schon nach zehn Minuten erzielt hatte.

Und während Vieira die Entscheidung des mexikanischen Schiedsrichters gelassen kommentierte („So ist das Spiel“), regte sich Henry maßlos auf. Er bezeichnete Benito Archundia als „inkompetent“ und sieht sich durch dessen Fehlentscheidung um den verdienten Lohn für gute Arbeit gebracht. Doch er macht sich keine großen Sorgen um das Weiterkommen. „Es gibt keine Spannungen im Team, alles ist ruhig, wir sind selbstbewusst“, betonte er. Am Sonntag spielen die Franzosen gegen Togo. „Da müssen wir gewinnen, hoch gewinnen“, so Thierry. Ein wenig vorsichtiger formulierte Vieira die Aussichten seines Teams. Für ihn ist es ein Rätsel, warum den Franzosen in diesen Tagen so wenig gelingen will, warum die Mannschaft trotz bester Chancen so selten das Tor trifft. „Wir wollten Tore schießen, wir wollten spielen, und wir wollten uns immer wieder Tormöglichkeiten erarbeiten – und am Ende hat das alles nicht gereicht.“

Auch Trainer Raymond Domenech war verzweifelt. Er betonte, dass das Spiel seines Teams doch ganz gut gewesen sei, und wies jede Mitverantwortung für den verpassten Sieg weit von sich. Franck Ribéry, der von den französischen Medien zum Heilsbringer hochgelobte Dribbelkünstler, durfte nicht von Beginn an spielen. Auch David Trezeguet, den Zinedine Zidane so gerne als zweiten Stürmer neben Henry gesehen hätte, saß auf der Bank. „Haben Sie taktische Fehler gemacht?“, wurde Domenech nach der Partie gefragt. Die Antwort des Trainers: „Können wir bitte zur nächsten Frage kommen?“ Wie es denn nun weitergehe, lautete diese. „Das ist eine einfache Frage“, antwortete Domenech, „wir haben noch ein Spiel, das müssen wir gewinnen.“

Gegen Togo wird derjenige fehlen, auf den das gesamte französische Spiel zugeschnitten ist. Zinedine Zidane ist nach seiner zweiten gelben Karte im Turnier gesperrt. Raymond Domenech muss jetzt zeigen, wie er dieses Problem taktisch lösen wird. Denn auch wenn der Altmeister gegen Korea nur selten wahre Klasse zeigte, so lief doch beinahe kein Angriff, ohne dass der Ball einmal vom Außenrist des Meisters gestreift wurde. Sollte Frankreich das Achtelfinale nicht erreichen, hätte sich Zidane – der nach der WM seine Karriere beenden wird – mit einem Unentschieden gegen Südkorea von der Fußballbühne verabschiedet. „Nein, nein, nein, nein“, sagte er darauf angesprochen, „das glaube ich einfach nicht.“