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FEIERABEND Die Norweger sehen sich im Fernsehen gern stundenlang scheinbar langweiliges Zeug an

Einmal ging es 12 Stunden um Holzhacken, Holzstapeln und Heizen mit Holz

Was den Deutschen ihre GroKo ist den Norwegern „sakte-TV“: Das Wort des Jahres 2013. „Sakte“ heißt langsam, und vom Phänomen des „langsamen Fernsehens“ haben sich die NorwegerInnen nach Meinung des dortigen „Språkrådet“, des Sprachrats also, mittlerweile so begeistern lassen, dass die diesjährige Auszeichnung an der Zeit sei.

„Sakte-TV“ wurde vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen NRK entdeckt, und es geht da wirklich langsam und ausführlich zu. Im Februar gab es beispielsweise einen Brennholz-Abend: 12 Stunden lang war Holzhacken, Holzstapeln und Heizen mit Holz das Thema. Das ging von den speziellen Geräuschen verschiedener Motorsägen und der Technik des Holzhackens bis zur Vielzahl eindrucksvoller Holzstapelkonstruktionen mit ihren Vor- und Nachteilen. Und darüber, was der Holzstapel über den Menschen sagt, der ihn gestapelt hat.

Anfang November zog dann der „nationale Strick-Abend“ von 20 Uhr bis 4 Uhr morgens ein Millionenpublikum in seinen Bann. Es gab eine Strickschule und man bekam einen Norwegerpullover vorgestrickt. Traditionelle Strickmuster wurden präsentiert, ein Harley-Davidson-Motorrad musste sich bestricken lassen und Guri, ein Schaf, das besonders feine Wolle produziert, wurde live geschoren, seine Wolle gesponnen und verarbeitet. Außerdem wurde erfolgreich ein bis dahin bestehender Strickweltrekord übertroffen.

Ins Guinnessbuch der Rekorde hatte es schon 2011 die längste Fernsehlivesendung der Welt geschafft: Fünfeinhalb Tage, 135 Stunden lang wurde die Fahrt des Hurtigruten-Schiffs „Nordnorge“ entlang der norwegischen Küste von Bergen bis Kirkenes direkt übertragen. Die Sendung brach alle Quotenrekorde: Am Ende hatten mit 2,8 Millionen Zuschauern über die Hälfte der NorwegerInnen das Programm jedenfalls teilweise geguckt.

NRK erhielt dafür den Preis der europäischen Fernsehbranchenorganisation Circom für die originellste Produktion des Jahres. 2012 konnte der Quotenerfolg mit dem zehnstündigen Programm „Nordlands-Bahn – Minute für Minute“ wiederholt werden. Eine Bahnfahrt bis jenseits des Polarkreises, die man jetzt im Internet gleich zu allen vier Jahreszeiten genießen kann.

Erfunden hat das Konzept Rune Møklebust, Programmchef des NRK-Regionalsenders Hordaland. Vor fünf Jahren war eigentlich nur eine Dokumentation über das 100-jährige Jubiläum der Bergens-Bahn zwischen Oslo und Bergen geplant. „Alle lachten, als ich vorschlug, doch die ganze siebenstündige Fahrt auszustrahlen“, erinnert sich Møklebust. Aber die Verantwortlichen zogen mit und die Zuschauer forderten mehr davon. So gab es weitere Bahn-, Kanal- und Fährschifftouren „Minute für Minute“. Das Echo auf einen kürzlichen NRK-Aufruf mit weiteren Vorschlägen für das „sakte-TV“ ist groß: Fliegenfischen, eine Pilgerreise per Pferderücken, einem Mutterschaf zuschauen, bis es gebiert.

Mit „überrascht, schockiert und verwirrt“ charakterisiert Andrea Jackson von der NRK-Distributionsgesellschaft die Reaktionen auf der TV-Messe „Mipcom“ in Cannes, wo der norwegische Sender im Oktober einige Programme des Formats präsentierte: „Manche haben ungläubig reagiert, aber gleichzeitig gab es sehr viel Interesse. Viele fanden das Konzept frech und lobten die Idee dieses „Langsamfernsehens“, weil es genau das Gegenteil dessen ist, was derzeit in der Branche als angesagt gilt.“

Vielleicht beruhe der Erfolg des Formats ja darauf, „dass wir eingebildete Vorstellungen von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit sehen und erleben“ wollen, mutmaßt die linke Tageszeitung Klassekampen. Der britische Guardian schreibt vom „perfekten Gegengift“ gegen die üblichen konstruierten und hysterischen Samstagabendshows und ist „überzeugt, dass Slow-TV eine Zukunft hat“.

REINHARD WOLFF, STOCKHOLM