WM AM KAP
: Prognosen

Niemand kommt, um mich abzukassieren

„Sag mal, wie hat Brasilien gegen die Elfenbeinküste gespielt?“, fragt mich der Verkäufer im Spätkauf meines Vertrauens, der es seit kurzem vorzieht, sich im Schaufenster als „Late-Night-Shop“ anzukündigen. Es gibt die unveränderte Warenauswahl aus gepanschtem italienischem Wein, leicht süßlichem polnischem, tschechischem oder fränkischem Bier, Packungen mit original türkischen Pistazien und gesalzenen Sonnenblumenkernen – die schmecken wirklich anders, kein Vergleich mit den geschmacksverstärkten kalifornischen Substituten.

Während ich so sinniere, hänge ich mit meinen Late-Night-Einkäufen dröge über dem Tresen und warte. Doch niemand kommt, um mich abzukassieren. Ich räuspere mich, klopfe auf das Rückgeldtablett. Keine Reaktion. Weiter hinten im Laden stehen Computer. Mir mit dem Rücken zugewandte Torsi hacken in die Tasten: ein Networkgame oder Chatsex mit der Geliebten in Algier vielleicht.

Ich will kein Zechpreller sein, noch weniger, wenn es mir so leichtfiele. Ehrlich, wie ich bin , stoße ich also bis in die zweite Gamer-Reihe vor. Da finde ich einen, der geflissentlich zwischen den Aschenbechern putzt. Sorry, ich wollte zahlen, sage ich zu ihm. Und er: Na, klar. Als er hinter dem Tresen steht, meint er also: Sag mal, wie hat Brasilien gegen die Elfenbeinküste gespielt? Ich sage, 3 zu 1 haben die Brasilianer gewonnen. Da verstummt er erst einmal, dann gibt er sich betrübt. Das kann nicht sein, sagt er, alle Afrikaner fliegen raus, selbst die Araber, Algerien, wo kommen wir da hin! Wenn all die Mittelmäßigen triumphieren und die großen Teams, Spanien, Italien, England und Afrika abschmieren?

Es gibt noch Hoffnung, tröste ich ihn: Ghana muss nur ein Goal mehr machen als Deutschland – und die Ehre des Kontinents wäre gerettet. Ach, seufzt er, gegen die Deutschen gewinnen nicht mal die Afrikaner! TIMO BERGER