Auch Bio-Kartoffeln können nicht schön genug sein

KONSUMSTANDARD Zu klein, zu groß, zu unförmig: Jede fünfte Speisekartoffel landet nicht auf dem Teller, sondern im Sautrog oder in einer Biogas-Anlage. Das gilt auch für Ware aus ökologischem Anbau. Absatz gesunken

Anuschka, Bonanza, Goldmarie, Juwel, Lambada, Pomqueen – hinter diesen wohlklingenden Namen verbergen sich Kartoffelsorten. In Deutschland sind rund 210 Sorten für den Anbau zugelassen. Die meisten bekommt der Verbraucher nie zu sehen – ein Großteil wird für die Industrie angebaut, die Kartoffelstärke für die Herstellung von Papier, Waschpulver, Tabletten oder Zahnpasta verarbeitet.

Doch auch bei den zum Verzehr geeigneten Kartoffeln gelangt jede fünfte nicht in den Handel – weil ihr Aussehen mit kleinen schwarzen Flecken oder merkwürdigen Formen nicht den Erwartungen entspricht. Diese geschmacklich meist einwandfreien Speisekartoffeln werden dann verfüttert oder landen in Biogasanlagen. Das betrifft sowohl die konventionell unter Beigabe von Pestiziden als auch die im ökologischen Anbau erzeugten Kartoffeln.

„Wir verkaufen unsere Bio-Kartoffeln auch direkt auf dem Hof und da finden viele Kunden besondere Kartoffeln wie welche in Herzform interessant und nehmen sie gerne mit. Der Handel kauft sie uns aber nicht ab“, klagt der Landwirt Reiner Bohnhorst aus Natendorf. Er diskutierte kürzlich auf einer Tagung des Kompetenzzentrums Ökolandbau Niedersachsen in Uelzen mit Fachleuten über das Marktpotenzial der Bio-Kartoffeln.

„Supermarktkunden sind anders, auch wenn sie Bio-Ware kaufen“, entgegnet Johannes von Eerde, der für den Gemüseeinkauf der bundesweit rund 3.300 Rewe-Märkte verantwortlich ist. „Wenn die Optik nicht stimmt, bleibt die Ware liegen.“

Der Konkurrent Edeka verkauft in 20 Läden Kartoffeln und Obst mit kleinen optischen Mängeln zu einem günstigeren Preis, um zu testen, ob der Kunde solche Produkte akzeptiert. „Das Interesse der Medien an diesem Thema ist bisher leider größer als das der Verbraucher“, sagt Anja Vollgrebe, Leiterin des Qualitätsmanagements bei Edeka Nord in Neumünster.

„Wir sortieren kleine und große Kartoffeln nicht aus, sondern verkaufen sie zum normalen Preis“, berichtet Martin Kintrup, der den Einkauf für Super-BioMarkt aus Münster leitet – eine Kette mit 20 Biomärkten, unter anderem in Osnabrück und Oldenburg. Doch Kintrup weiß auch, dass viele seiner Kunden ihre Kaufentscheidung vom Aussehen abhängig machen. Hinzu kommt: Viele Bio-Landwirte verkaufen ihre Kartoffeln an Abpackbetriebe, die eine standardisierte Ware favorisieren, um keine Probleme mit ihren Abnehmern zu bekommen.

Der Handel bevorzugt gewaschene Kartoffeln, obwohl diese nicht so lange haltbar sind und eher grün werden. „Mit Kartoffeltüten, aus denen die Erde rausrieselt, hat man keine Chance“, sagt Matthias Brommer, Leiter des Qualitätsmanagements für Obst und Gemüse bei der Supermarktkette Tegut, zu der 285 Läden unter anderem in Niedersachsen gehören. Viele Kunden wollten gewaschene Ware. Die Supermarktkette hat aber auch Kartoffeln im Sortiment, die bloß gebürstet sind und daher länger halten.

Die Erzeuger verkaufen ihre Kartoffeln gerne an Verarbeitungsbetriebe, weil sie so mehr von ihrer B-Ware loswerden können. Diese wird zu Bio-Kartoffelchips, -Gnocchi, -Pommes oder -Püree – was allerdings meist nur in Bioläden und nicht im konventionellen Lebensmittelhandel zu haben ist.

Trotzdem sind für die Bio-Landwirte die Discounter am wichtigsten. Sie verkaufen die meisten Bio-Kartoffeln. „Wir stellen Rösti und Puffer auch in Bioqualität her, denn wer wie wir Premiummarken produziert, muss auch Bio können“, sagt Bernd Pfeiffenberger von Schne-frost aus Löningen, einem Hersteller von tiefgefrorenen Kartoffelprodukten.

Nach Meinung von Claudia Jones, Professorin für Lebensmittelchemie an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Detmold, hat die unverarbeitete Kartoffel generell einen schweren Stand. „Kartoffeln müssen geschält und gekocht werden, das kostet Zeit, die sich viele Menschen nicht mehr nehmen“, sagt sie. „Jüngere Leute wollen To-go-Produkte, darauf müssen sich auch Kartoffelanbieter einstellen.“ Sie präsentierte in Uelzen selbst entwickelte Kartoffelmuffins.

Schon heute werden in Deutschland mehr verarbeitete als frische Kartoffeln gegessen. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch betrug 1990 in Westdeutschland 72,6 Kilo und im Osten 154,6 Kilo. Heute liegt er unter 60 Kilo.

Carsten Niemann, Geschäftsführer der EZZ Bio Kartoffel Nord aus Lüchow, fordert vom Handel bessere Bedingungen. Dann könnte auch die Anbaufläche für Bio-Kartoffeln in Deutschland steigen. Die stagniert seit Jahren, sodass zu bestimmten Zeiten Bio-Kartoffeln aus Ägypten und Israel eingeführt werden, um die Nachfrage zu decken.

Stärker als bisher müsse die Qualität von Bio-Kartoffeln betont werden, um den Absatz zu steigern. Beim konventionellen Anbau würden die Kartoffeln im Lager begast und Insektizide eingesetzt, was Auswirkungen auf das Grundwasser habe. „Der Handel präsentiert Bio-Ware als reine Marke, es muss aber wieder mehr um Inhalte gehen“, findet Niemann.  JOACHIM GÖRES