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ABGESANG Die Jugend holt sich ihre Bewegtbilder im Netz. Ist das klassische Fernsehen noch zu retten?

VON JULIA NEUMANN

Der schnelle Klick tötet das lineare Fernsehen. Im Internet gibt es alles on demand, auf Knopfdruck, ein Klick genügt. Für das Fernsehen heißt das: Die Jugend, die begehrte Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen, haut ab ins Netz. Was tun, um sie wieder einzufangen?

Ein Jugendkanal muss her, dachte man sich bei ARD und ZDF. Crossmedial sollte er sein, alle Kanäle bespielend: Fernsehen, Radio Internet. Rund 45 Millionen Euro veranschlagte man für das Projekt – und scheiterte damit im Herbst vorerst am Veto der Ministerpräsidenten der Länder. Zu kostspielig das Ganze, das inhaltliche Konzept überzeuge nicht.

Tatsächlich ist die crossmediale Idee nicht gerade neu – und bisher auch noch nicht überzeugend erfolgreich, wenn es darum geht, die Jugend aus dem Netz zu fischen. Die „Tageswebschau“ zum Beispiel, die ab Juni 2012 gut ein Jahr lang auf den Digitalkanälen Eins Plus, Eins Festival und tagesschau24 ausgestrahlt wurde und in der Mediathek abrufbar war. Das Konzept: Junges Team, junge Protagonisten als Moderatoren, Themen aus dem Internet. Eine Mischung aus „Tagesschau“ und den jungen ARD-Hörfunkwellen.

„Wir haben versucht, unsere Quellen aus dem Internet zu beziehen, aus Sozialen Netzwerken. Wir haben geschaut, was Trending-Topic bei Twitter ist“, sagt Redaktionsleiter Marcello Bonventre. Die Zielgruppe ging ihm trotzdem durch die Maschen: Im Mai 2013 kappte die ARD die Finanzierung wegen ungenügend hoher Abrufzahlen in der Mediathek.

Mehr Anspruch

Bonventre machte trotzdem weiter, mit der „Wochenwebschau“, einem Wochenmagazin mit weniger Budget, das nun alleine aus dem schmalen Topf der kleinsten ARD-Anstalt, dem chronisch defizitären Radio Bremen, finanziert wird. „Es ist magaziniger, mit jungen Protagonisten“, sagt Bonventre. In einer Ausgabe geht es um Online-Adventskalender, eine Comic-App und einen Blog mit einem Hund, der komische Sachen auf dem Kopf hat. Funktioniert nur leichte Kost? Nein, sagt Bonventre. Bisher am meisten geklickt worden sei ein Beitrag über die Diskriminierung von Homosexuellen in Russland. Es solle ja auch ein journalistisches Produkt sein, etwas Verlässliches. Aber: „Wir brauchen mehr Klicks.“

Am Berliner Ostbahnhof steht eine alte Fabrik aus Backstein, der braune Putz bröckelt von den Wänden im Treppenhaus. Ein mit schwarzer Farbe gemalter Pfeil weist den Weg nach oben: in die Zukunft, die hier ein großer Raum ist, hellweiß beleuchtet, in dem junge Menschen geschäftig wuseln. Von hier sendet Joiz. Der private schweizerische Jugendkanal startete im August und ist via Kabel und Satellit auch in Deutschland zu empfangen. Das Motto: Die Jugend bestimmt, was im Fernsehen passiert. Social TV, die Couch-Kartoffel wird aktiver Nutzer. Jugendliche sollen Inhalte mitgestalten, per Chat, Skype und in den Sozialen Netzwerken. Für die Macher ist das Internet Primärquelle. Mittzwanziger quatschen in Talks über den Syrienkrieg, den Internetminister, einen Pornodarsteller oder guten Sex.

Oliver Pocher, Casper und Selena Gomez saßen schon auf der Couch. Dauergast: das Internet. Ein Bildschirm im Hintergrund zeigt die Chatkommentare. Wer dabei sein will, wird nach kurzem Vorgespräch per Videotelefonie in die Sendung geschaltet – und hinterher fürs interaktive Dabeisein mit Werbegeschenken belohnt.

Geschäftsführer Carsten Kollmus glaubt an das Medium. Der Sender trägt sich zwar noch nicht, in der Schweiz war er aber bereits nach zwei Jahren rentabel. „Wir holen die Leute ins Fernsehen zurück. Es ist eher so, dass der Trend zum Second Screen geht.“ Kollmus ist sicher: „Fernsehen wird nie tot sein.“ Zur Not erhalten eben kleine Geschenke die Freundschaft.

„Social TV ist kein Rettungsanker“, sagt dagegen Christopher Buschow vom Institut für Journalistik in Hannover. Er forscht seit zwei Jahren zu dem Phänomen Social TV. „Es wird Bewegtbild geben – aber ob so etwas wie Fernsehen mit linearen Programmabläufen überhaupt noch eine Rolle spielen wird, da bin ich mir nicht sicher.“ Das Fernsehen sei kein relevantes Medium mehr für Jugendliche. „Die würden auf eine einsame Insel nicht den Fernsehen mitnehmen, sondern ihr Smartphone.“

Fünfter Stock in einer Dachgeschosswohnung in Berlin. Im Wohnzimmer stehen große Sessel, auf einem goldenen Schwein reitet eine Spiderman-Puppe. Hier entsteht „Was geht ab“, ein Youtube-Kanal mit Nachrichten für Jugendliche. Seriös sollen die sein, aber dabei nicht so steif rüberkommen. Florian, Frodo, Steven und Rick reden in ihren privaten Kanälen über Onlinespiele, Vaginapilze und Schlussmachen. Für „Was geht ab“ sprechen sie Nachrichten ein. Ihre Zielgruppe: 13- bis 21-jährige Youtube-User. Vier bis fünf Videos werden am Tag gedreht, mindestens 18 in der Woche. Ohne das Unternehmen Mediakraft würde das nicht gehen. Das Netzwerk nimmt Youtuber unter Vertrag, übernimmt die Vermarktung, akquiriert Werbepartner. Ähnlich wie eine Plattenfirma bekommt Mediakraft dafür einen Anteil der Einnahmen. Die Firma macht noch keinen Gewinn, sondern wird von Gesellschaftern und Investoren finanziert.

Redaktionsleiter Alex Moebius spricht von „früher Bildung“ als Konzept. Ganz schön ambitioniert, denn die Youtuber klicken am liebsten Schabernack. „Du kriegst eben mehr Klicks mit lustigen Sketchen, wenn du über Celebrities herziehst oder aus deinem Alltag erzählst.“ 180.000 Abonnenten hat der Kanal. Um die 40.000 Klicks haben die „Flash-News“, knapp dreiminütige Videos im wilden Themenmix, von Angela Merkels neuem Kabinett, über Nelson Mandelas Tod bis zur Debatte um die Legalisierung von Marihuana.

Mehr Klicks

„Um uns zu finanzieren bräuchten wir das zehn- bis zwanzigfache an Klicks.“ Der Nachrichtenkanal profitiert von den Youtubern als bekannte Marke. Die Fans wollen wissen, ob Steven eine neue Brille hat. Und vielleicht tatsächlich etwas über Merkels neues Kabinett erfahren.

Soll das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich also einfach ein Beispiel an Youtube nehmen? Nicht Fernsehen mit ein bisschen Internet, sondern Internet mit Fernsehen? Da wäre dann der Rundfunkstaatsvertrag im Weg: ein Angebot, das ausschließlich oder primär im Web existiert, ist nicht vorgesehen.

Doch im Prinzip wäre ein öffentlich-rechtliches Youtube die Zukunft, sagt Markus Hündgen, Veranstalter des Deutschen Webvideo-Preises. Bewegtbild ohne Fernseher, ohne den Staub des Linearen. Er sagt: „Journalismus und Bildung sind weiße Flecken auf der deutschen Webvideo-Landkarte.“ Es fehle an Videos mit journalistischen, edukativen Inhalten. Die hätten dann auch nichts zu tun mit Youtubern, die „vermeintlich hippe Fließbandware über die Kanäle schieben“. Da gebe es für die Öffentlich-Rechtlichen eine Lücke – wenn sie sie den nutzen dürften.