„Es bleiben Dinge haften“

NATIONALSTOLZ Bremer Psychologe organisiert eine Tagung zur Fußball-WM und kollektiver Identität

■  ist Universitätslektor für Sozialpsychologie in Bremen, Humboldt-Stipendiat, Mitorganisator der WM-Tagung in Johannesburg

taz: Herr Kühn, die WM-Begeisterung wird heute auch Bremen packen – inklusive schwarz-rot-goldener Fan-Utensilien. Finden Sie das bedenklich?

Thomas Kühn: Das ist so einfach nicht zu beantworten. Diese Stimmung wird häufig als Party-Patriotismus angesehen, da gilt es als schön, sich so zu zeigen. Ich finde das aber zu verniedlichend: Bei der Fußball-WM rückt die Nationalität in den Vordergrund und gewinnt als Zuordnungskategorie an Bedeutung.

Ist das von Dauer oder legt sich das mit dem Ende der WM?

Es bleiben sicher Dinge haften. Das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ der WM 2006 hat bei vielen das Bild der eigenen Nation verändert. Bei der aktuellen deutschen Nationalmannschaft mit Spielern wie Cacau, Özil oder Khedira ist die Frage, ob sie helfen kann, dass sich das Bild von Deutschland als multikultureller Gesellschaft in der breiten Masse durchsetzt. Wie nachhaltig das Ereignis WM so etwas aber tatsächlich leisten kann, muss sozialpsychologisch noch stärker beforscht werden.

Kann man nicht auch sagen: Egal, ob WM oder Grand Prix-Sieg – die Begeisterung löst das Massen-Event aus?

Das halte ich für eine Verharmlosung der Ernsthaftigkeit der WM. Da geht es immer auch um die Frage, wie man sich der Welt zugehörig fühlt: Als Teil einer Nation, als Europäer, als Latino. Zudem hat die WM eine besondere sozialpolitische Bedeutung. In Diktaturen wird immer wieder versucht, über die WM-Begeisterung eine Einheit zu dokumentieren, die es so eigentlich gar nicht gibt. Man nutzt die Emotionen, um Konflikte und Missstände zu verschleiern. INTERVIEW: THA

20.30 Uhr, Ghana-Deutschland, Tagung zeitgleich in Johannesburg