leserinnenbriefe
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Eine unglaubliche Relativierung

■  betr.: „Jetzt reicht’s langsam“, taz zwei vom 18. 6. 10

Ich kann nicht nachvollziehen, wie in einer emanzipierten und aufgeklärten Zeitung bei jeder Unterdrückung einer Menschengruppe der Vergleich mit Juden, Holocaust und Israel herhalten muss. Die unbestreitbar nach wie vor vorhandene Unterdrückung von Homosexuellen ist selbstverständlich nicht hinnehmbar. Aber als wenn das nicht schlimm genug wäre, versucht man nun die Diskriminierung mit der Situation der Juden im Dritten Reich zu vergleichen. Letzten Endes ist dies eine unglaubliche Relativierung der Verbrechen, die begangen wurden. Zur Stigmatisierung „Minderheit, die versucht hat, sich anzupassen(?) – am Ende wurde sie doch zum Opfer“: Diese Verknappung des jüdischen Schicksals in Europa ist nicht akzeptabel, zumal dies nur als Autoritätsargument dienen soll, um den eigenen „Opferstatus“ aufzuwerten. Und noch einmal: Die faktische Diskriminierung vieler sexueller Identitäten durch den Staat ist schlimm genug. Da muss man nicht auch noch einen Wettbewerb eröffnen um die Meisterschaft des größten Opfers.

Und bei aller Unterstützung für die Gleichstellung von Homo- und Heterosexuellen: Während es nach wie vor eine Masse Homosexueller gibt, die aufgrund der bestehenden Verhältnisse ihr Leben eben nicht selbstbestimmt leben können, versuchen andere der Gesellschaft eine bestimmte Art von Lifestyle aufzudrücken. Die notwendige Überwindung der allgegenwärtigen Heteronormativität darf nicht zur allgegenwärtigen Homonormativität führen. Und mit Gay-Pride-Prügelbanden ist das Problem der existenten Homophobie auch nicht beseitigt. FABIAN FERBER, Lüdenscheid

Plädoyer für Zwangsdienste nervt

■  betr.: „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?“,taz vom 21. 6. 10

Herrn Küppersbuschs permanentes Plädoyer für Zwangsdienste nervt. Bevor er Herrn zu Guttenberg (immerhin der erste Verteidigungsminister, der eine Abschaffung der Wehrpflicht zumindest zu denken wagt) Angriffe auf die Verfassung unterstellt, sollte er vielleicht lieber selbst einmal zum Grundgesetz greifen und sich überzeugen, dass dort weder Militär- noch Sozialknast verpflichtend vorgeschrieben ist. Und der Zivildienst war nie eine „Errungenschaft“, sondern diente am Anfang zur Abschreckung der Kriegsdienstverweigerer und heute zur Verschleierung der sozialen Unterversorgung. KLAUS BAILLY, Solingen

Aus Arbeit Jobs machen

■  betr.: „Hartz IV schafft Arbeit“, taz vom 19. 6. 10

Der Bock, der zum Gärtner gemacht wird, schafft auch Arbeit – wenigstens für die Gärtner. Für die leistungsgeminderte, von Arbeitssuchenden meist als untauglich zur Vermittlung beschriebene und bislang grundgesetzwidrige Verwaltung werden durch die hoch dotierte Verwaltungsspitze „Reformerfolge“ errungen, indem insgesamt noch mehr Personal die Hilfesuchenden zwar Kunden nennt, aber kaum in Arbeit vermittelt, sondern sich mit Veränderungen in der statistischen Darstellung der Misserfolge befasst. Die Beratungs- und Vermittlungsleistungen „am Menschen“ werden – von den rechnungshofmonierten SpitzenverdienerInnen konzipiert – immer weiter privatisiert oder an „freie Träger“ ausgelagert, die dann zu Billiglöhnen die KollegInnen beschäftigen, die (Weiter-)Bildung und Vermittlung von Arbeitsuchenden praktisch machen. Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro in der Weiterbildung sollte nun zwar die untere Grenze für die Ausbeutung und Demotivation des dort beschäftigten Personals – in der Regel mit Studium – sein, doch geht es durch die geplanten Kürzungen auch hier für immer mehr ArbeitnehmerInnen immer weiter bergab, während sich die BA-Spitzenmanager die Taschen vollstopfen und das Ganze dann „Reformerfolg“ nennen. Loyale Beamte und Angestellte bleiben ein Werkzeug der Politik und helfen weiter dabei, als Behörde „Bundesagentur für Arbeit für“ und/oder „ARGE“ für immer mehr Menschen aus ihrer Arbeit einfach Jobs zu machen. ROLF SCHEYER, Köln