20 Milliarden weniger Schulden

HAUSHALT Die Bundesregierung braucht weniger Kredite als geplant, weil die Wirtschaft schneller an Fahrt aufnimmt. Linke fordern, nun die Sparpläne zu überdenken

VON HANNA GERSMANN
UND BEATE WILLMS

Wir müssen sparen, sparen, sparen – dies vermittelt die schwarz-gelbe Bundesregierung. Allerdings: Sie muss weniger Schulden machen als bisher erwartet. Nach jetzigem Stand kommt sie in diesem Jahr mit 60 bis 65 Milliarden Euro Neuverschuldung aus, das sind 20 Milliarden weniger als bisher eingeplant. Das geht aus der Haushaltsplanung der Koalition hervor, die am Dienstag bekannt wurde. In zwei Wochen will das Kabinett über sie beraten.

Kann die Regierung nun also auf die schon geplanten Einsparungen etwa bei Arbeitslosen verzichten? Selbst Oppositionspolitiker hielten sich am Dienstag zurück. Der Grünen-Experte Alexander Bonde zum Beispiel erklärte, die Regierung komme um eine „kluge Haushaltskonsolidierung“ nicht herum. Der Chefvolkswirt der Linken, Michael Schlecht, wurde deutlicher. Der taz sagte er, es sei „absurd“, Hartz-IV-Empfängern das Elterngeld zu streichen, wenn 20 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen zur Verfügung stünden: „Die Bundesregierung würde auch brutale Kürzungen im Sozialbereich vornehmen, wenn wir einen Haushaltsüberschuss hätten oder plötzlich Ölquellen.“

Von Haushaltsüberschüssen kann derzeit freilich keine Rede sein, auch wenn die Regierung deutlich mehr Geld einnimmt als erwartet. Im Mai brachte allein die Umsatzsteuer im Vergleich zum Vorjahr 6,5 Prozent mehr. Hinzu kamen knapp 4,5 Milliarden Euro aus dem Verkauf von Mobilfunklizenzen.

Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung erklärte: „Steuereinnahmen wachsen überproportional, wenn sich die Wirtschaft erholt.“ Firmen machen höhere Umsätze. Statt Verlusten schreiben sie Gewinne, auf die Steuern fällig werden. Chefs stellen Leute ein, die Einkommensteuer zahlen. Beschäftigte kaufen mehr ein. Die Konjunkturprogramme des letzten Jahres zeigten Wirkung, meint Horn. „Viele Prognosen waren zu pessimistisch.“

Außergewöhnlich ist es nicht, dass die Experten bei den Vorhersagen falsch liegen. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist aller Erfahrung nach an den Wendepunkten besonders schwer vorherzusagen. Am schlechtesten kamen die Haushaltsexperten von 2001 bis 2003 zurecht. Damals nahm der Fiskus jeweils mehr als 30 Milliarden Euro weniger ein als vorhergesagt. Hauptgrund war die Reform der Unternehmensteuer. Aber auch Abweichungen nach oben gab es früher schon, vor allem in Phasen des Aufschwungs. 2006 zum Beispiel lagen die Einnahmen letztlich 23 Milliarden Euro über dem Planansatz.

Diese Fehlschätzungen sind kein rein deutsches Problem. Ein internationaler Vergleich des Münchner Ifo-Instituts zeigt, dass sich die Regierungen der USA, Japans und Irlands in den letzten zehn Jahren im Schnitt noch deutlich stärker irrten.

Und nun? Kommt es aufs Wachstum an, meint Konjunkturexperte Horn. Wenn die Raten längere Zeit bei 1,5 Prozent lägen, könne die Regierung die Konjunkturimpulse zurücknehmen und die Mehreinnahmen zur Konsolidierung des Haushalts nutzen. Er hält das schwarz-gelbe Sparpaket „in der inneren Logik für schwierig“, will am „Volumen aber nichts ändern“.