Riot nur noch ohne Diät

The Gossip sind die erste US-Band beim Hamburger Indie Lage D’Or. Das Trio gilt als queeres Rock-Gewitter. Beim Konzert im Magnet waren Band und Sängerin Beth Ditto sogar noch besser: punkig, unterhaltsam und schön dick

Nur kreislaufstabile Menschen hielten das Konzert am Montagabend ganz durch. Aber es gab zum Glück sehr viele kreislaufstabile junge Leute, die bei gefühlten 50 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 120 Prozent dicht gedrängt im Magnet standen, sprangen, die Arme hochrissen, mitsangen und tanzten wie die Derwische. Richtig so, denn die oben auf der Bühne schenkten sich ja auch nichts.

Wenn man aus einem Redneck-Kaff im Südstaatenstaat Arkansas kommt, wenn man jung, lesbisch und dick ist und es außer einem einzigen schwulen Freund keine Community gibt, nicht die Spur einer Szene weit und breit, dann muss man hart im Nehmen sein. The Gossip sind das.

Die Band ist noch jung, hat aber mit „Standing In The Way Of Control“ schon ihr drittes Album veröffentlicht. Die Vorgängerplatten hatten es in den USA nicht so leicht – die explizit lesbischen Texte überzeugten nur kleine, bekennende Fankreise. Und so kam es, dass The Gossip das erste US-Signing des Hamburger Alt-Indiedeutsch-Labels Lage D’Or wurden. Das Trio ist nach eigener Aussage „zwei Drittel queer und 100 Prozent feministisch“ und macht eine Rock-’n’-Roll-Mischung aus rohem Dance-Punk und wavigen Bluespunk. Und das alles nur mit Gitarre, Gesang und Schlagzeug, also in der White-Stripes-Besetzung.

Aber der Bandsound ist weniger minimalistisch: Hannah Blilie hat zwar einige Teile am Drumset weggelassen und spielt schön reduziert, aber die Stimme dominiert trotzdem sehr, und die musikalisch wirklich zwingenden Momente fehlen bei all dem interessanten Stilgemixe manchmal. Für die sorgt allerdings – wie sie fröhlich herumstolziert, das Handtuch über dem Kopf schwenkt und sich ein wenig im Deutschen versucht, die einfach wahnsinnig coole, fröhliche, unterhaltsame und auch ein bisschen weirde Sängerin Beth Ditto.

Sie ist nicht mollig, sie ist richtig dick. Eine kleine Tonne, die über die Bühne turnt, rollt und walzt und den Speck wackeln lässt. Dabei verströmt sie eine unglaubliche Energie – eine ganz außergewöhnliche Bühnenpersönlichkeit mit einer außergewöhnlichen Stimme, einer Soulstimme mit Riotgrrl-Attitude, die an Aretha Franklin erinnert. An den gesangsakrobatischen Stellen wollen zwar manche die ungute alte Anastacia heraushören, aber was bei Anastacia nur ein maniriertes Kratzen im Hals ist, ist bei Beth ein erdig röhrendes Volumen. Das sind volle, wütende Töne, die tief aus einem Inneren kommen, sich im Raum ausbreiten und im Mark treffen.

Schwule musikalische Lichtgestalten wie Rufus Wainwright oder Antony and the Johnsons haben schon bewirkt , dass sich auch der „normale“ heterosexuelle Indieboy gerne mal campy, sexuell uneindeutig gibt und einen Hauch Gayness als Bühnenaccessoire trägt. Aber, ach, wenn nur The Gossip das nächste große Ding werden würden! Wenn Lesbisch- und Feministischsein endlich als cool gelten würde! Wenn die alte Riotggrl-Parole „Riot, don’t diet!“ endlich von jungen Frauen beherzigt und eine Armada der dicken Sängerinnen die Bühnen stürmen würde! CHRISTIANE RÖSINGER