Der lange Weg auf die Hauptbühne

Nachwuchsbands haben es schwer: Die Konkurrenz ist groß, die Förderung mager, und von den wenigen Auftritten profitieren vor allem die Veranstalter. Eine Alternative zum kommerziellen Druck ist der Zusammenschluss von Bands, etwa im Marzahner ORWO-Haus. Ansonsten hilft: ausgiebiges Touren

VON NINA APIN

Gerrit Beiersdorf ist glücklich: Seine Band The Lunatics hat den Sprung aus ihrem Steglitzer Proberaum geschafft. Vor zwei Wochen spielten sie in einem Jugendzentrum in Linz, im Sommer werden Auftritte in Polen folgen, „vielleicht bekommen wir sogar Frankreich hin“, sagt der 16-Jährige, der bei den Lunatics singt und Gitarre spielt. Insgesamt 11.500 Euro hat die Rockband für Touren, Ausrüstung und eine neue Homepage zur Verfügung. Das Geld teilen sie sich mit ihren Tourbegleitern Lazy in Delirium. Kein schlechtes Budget für eine Schülerband, die gerade eben seit anderthalb Jahren zusammenspielt.

Den Geldsegen haben die Steglitzer Newcomer dem EU-Programm „Jugend für Europa“ zu verdanken. Eine Sozialarbeiterin aus dem Jugendzentrum „Bunker“, wo sie proben, ermutigte sie zur Antragsstellung. Die Nachwuchsmusiker überzeugten die Jury mit ihrem Engagement gegen Rechtsradikalismus und geplanten Auftritten in Grenzregionen.

Dass es Berliner Bands aus ihrer Stadt heraus schaffen, ist jedoch eher die Ausnahme. Junge und unbekannte Musiker haben wenig Gelegenheiten, ihr Können vor Publikum unter Beweis zu stellen und die Stufe der Professionalisierung zu erreichen. Die meisten bleiben in ihren Übungsräumen sitzen und hangeln sich von einem schlecht bezahlten Gig zum nächsten. Ein typisches Berliner Problem, wie Andreas Otto vom ORWO-Haus in Marzahn findet.

In dem selbst verwalteten Kreativzentrum proben und produzieren zwischen 130 und 150 Berliner Bands – „ein Bruchteil der riesigen Musikerszene der Stadt“, so Otto. Eine vom ORWO-Haus in Auftrag gegebene Studie zählt an die 1.500 professionell oder halbprofessionell arbeitende Bands in Berlin. Und damit sind Amateure wie die Steglitzer Schülerband noch gar nicht erfasst. „Das Problem ist das Überangebot“, sagt Andreas Otto. Der Kampf um Auftrittsmöglichkeiten und Publikum ist hart. „Jeder will spielen, aber es gibt kaum Gage“, beobachtet er. „Newcomer werden oft von Veranstaltern ausgebeutet. Sie müssen sich um alles kümmern und gehen dann mit einem Hungerlohn oder gar nichts nach Hause.“

Auch die zahlreichen Bandwettbewerbe und Newcomer-Festivals in Berlin funktionieren nach diesem Muster, sagt Andreas Otto. „Die meisten sind nur Konstrukte, um viel Publikum anzulocken“, sagt er. „Die Veranstalter profitieren am meisten davon.“ Wettbewerbe funktionieren oft über Publikumsentscheid: Wer am meisten Anhänger mobilisieren kann, gewinnt – vielleicht – einen Sachpreis, bei den Wirten klingeln garantiert die Kassen. Das ORWO-Haus setzt mit eigenen Strukturen dagegen. Eigene Konzerthallen sind geplant, für seine Hausbands agiert der Verein jetzt schon als Booking-Agentur, übernimmt die Verhandlungen mit den Veranstaltern und achtet auf faire Konditionen. „Gerade in Berlin müssen Bands zusammenhalten“, sagt Andreas Otto.

Die Stadt war schon immer ein besonders hartes Pflaster für angehende Rockstars: Das Publikum ist verwöhnt von einem Überangebot und dementsprechend anspruchsvoll. Und die Zeiten sind noch härter geworden. Der Staat hat sich weitgehend aus der Bandförderung zurückgezogen. Die Zeiten, in denen der Senat einen eigenen Rockwettbewerb veranstaltete, sind seit den 80er-Jahren vorbei. Den Markt für Talentförderung dominieren heute kommerzielle Anbieter wie das weltweit agierende Emergenza-Festival, auf dem sich Bands für eine Startgebühr von 70 Euro gegen hunderte Konkurrenten durchbeißen müssen.

„Es gibt auch ohne uns schon genug Wettbewerbe“, findet Uwe Sandhop, zuständiger Sachbearbeiter für „U-Musik-Förderung“ in der Senatskulturverwaltung. Das Jahresbudget von 285.000 Euro für Jazz und populäre Musik steckt der Senat lieber in die gezielte Förderung weniger Projekte: Einmal im Jahr können sich Bands ohne Plattenvertrag in einem der drei senatseigenen Tonstudios für eine zweiwöchige Profi-Aufnahme bewerben. Jugendliche Amateurmusiker können sich im Schöneberger Jugendzentrum „Weiße Rose“ beweisen. Ansonsten konzentriert sich der Senat auf finanzielle Mitfinanzierung kleinerer Veranstaltungen wie dem Chansonfest, der Festivalreihe „Musik und Politik“ und der Kunstfabrik Lehrter Straße in Moabit. „Plattenverträge kann der Senat leider nicht vermitteln“, sagt Sandhop. „Da müssen sich die Bands selbst darum kümmern.“

Auf diese Eigeninitiative setzte die Kreuzberger Musikproduktionsfirma G&S-Productions“, als sie vor drei Jahren die Initiative „Bandpartnerschaft“ gründete. Unbekannte Bands aus der ganzen Republik sollten sich in einem Online-Netzwerk zusammenschließen, um sich gegenseitig Auftrittsmöglichkeiten zu beschaffen. „Das Motto ist einfach: Zwei Bands treten zusammen auf, jede organisiert den Gig in ihrer Heimatstadt“, sagt Ulrike Hartwig von G&S Productions.

Der für die Bands kostenlose Service wurde anfangs gut angenommen. Das Online-Netzwerk hatte bald über 50 Bands aus allen Regionen, die ersten Auftritte klappten gut. Doch bereits nach anderthalb Jahren scheiterte das Projekt an der mangelnden Eigeninitiative der Bands. „Die meisten wollen lieber eine Booking-Agentur, die alles für sie erledigt“, sagt Ulrike Hartwig. Ein Service, den die Zwei-Mann-Firma aus Kreuzberg, die von Tonaufnahmen lebt, nicht leisten kann – und will. „Wir glauben an Bands, die sich ihr Publikum mit harter Arbeit selbst erspielen“, sagt die gelernte Tontechnikerin.

Berliner Bands empfiehlt sie ausgedehnte Touren durch die Provinz, wo das Publikum noch dankbar für Attraktionen sei – und fügt gleich einschränkend hinzu: „Es können eben nicht alle die neuen Ärzte sein.“ Die Berliner Punkrocker haben es einst auf die (fast) mühelose Tour geschafft: Ihre Karriere begann mit dem Sieg im legendären Senatsrockwettbewerb.