Urbane Lichtspiele

Architekten, Urbanisten und Tourismusmanager widmen sich zunehmend den Nachtseiten der Städte. Mit „Leuchtende Bauten“ bilanziert das Kunstmuseum Stuttgart diese Inszenierungen

Architekten planen ihre Bauten schon so, dass sie eine luminose Nachtseite bekommen

VON IRA MAZZONI

„Emotions united“ hieß die Schau von Theaterregisseur Titus Georgi. 40 Projektoren und 80 Scheinwerfer projizierten am Pfingstwochenende legendäre Fußballbilder auf die Fassaden von neun Frankfurter Hochhäusern. Und wie zur Zeit üblich, dockte die Kunst parasitär an. Konkret: Marie-Jo Lafontaine, Documenta-Teilnehmerin aus Belgien, mit ihrer nachfolgenden Projektion „I Love the World“. Für drei Nächte schien Mainhattan die Großstadt, die sie immer schon sein wollte. Im Spiel der „Sky-Arena“ wurde möglich, was Stadtplaner als Dauerinstallation hierzulande ablehnen: Medienfassaden, die die Stadt zur beliebig programmierbaren Projektionsfläche von Werbung und Kunst zu machen.

Hamburg liebt es etwas distinguierter. Der Theatermann und Lichtkünstler Michael Batz, der bereits die Speicherstadt aus dem Dunkel geholt hat, setzt den Dächern der Stadt in diesem Fußball- und Architektur-Sommer 200 blaue Tore auf, die mit grünen Laser-Strahlen vernetzt werden. Symbolische „Blue Goals“ für die Hafenstadt, die sich als „Tor zur Welt“ versteht – diese Idee kam Batz auf dem Bund, der Uferpromenade von Schanghai, als er auf die bildhaften Top-Lights von Pudong blickte. Eine Vision, die erst einmal in strengere und farbreduzierte hanseatische Maßstäbe übersetzt werden musste.

Wir leben, wie der Architekt Robert Venturi bereits feststellte, in manieristischen Zeiten. Das Kunstwollen ist allgemein, die Inszenierung erfasst den Alltag, also auch die Allnacht. Städte arbeiten an ihrem Image, das vor allem nach Sonnenuntergang strahlen soll. Fassaden werden mit Licht bestrichen, Gebäudekanten konturiert, Dächer und Türme hervorgehoben. Fast jeder kommunale Planungsreferent war inzwischen einmal in Lyon, der Stadt des Lichts. Auch wenn die pastose Polycolor-Kulisse nicht jeden ästhetisch überzeugt, die touristischen und sozialen Steuerungsmöglichkeiten möchten fast alle nutzen. Die Partnerstadt Frankfurt hat in diesem Jahr die „Illumination Stadtraum Main“ vollendet. Auch liegt ein Licht-Masterplan für die Bankencity vor: Die Skyline soll einprägsam moduliert werden, damit sich auf 250 Metern Höhe kein Las Vegas entwickelt.

Licht-Masterpläne gibt es inzwischen in etlichen deutschen Städten. Die Autostadt Stuttgart beschließt demnächst ein Konzept zur Hervorhebung zentraler Verkehrsachsen. Selbst kleinere Kommunen, wie etwa das historische Landshut, diskutieren Möglichkeiten, ihre Schokoladenseiten ins rechte Licht zu rücken. „Citybeautification“ lautet die Devise, die von Leuchtenproduzenten umso wirksamer vertreten wird, je sparsamer die neuen Lichtspender sind. Neue Designs sollen für besseres Licht sorgen: besser für den Verkehr, besser fürs Gefühl, besser fürs Image. Licht ist Psychologie. Licht ist Sicherheit.

Architekten achten zunehmend schon bei der Planung darauf, dass ihre Bauten auch eine luminose Nachtseite bekommen. Man muss nur an den Bauzäunen entlangschlendern, um zu sehen, was Projektentwickler für die Zukunft versprechen: Lichtvolle Glaskörper. Die graue Tagseite sieht dagegen meist so blass aus, dass sie nicht beworben wird.

„Die Nachtaufnahme ist am meisten gefragt“, resümiert Eva Klingenstein, im Kunstmuseum Stuttgart zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Das Haus wurde von den Architekten Hascher und Jehle als sanft von innen heraus leuchtender Kubus entworfen und hat das Stadtbild Stuttgarts verändert. Grund genug für das Museumsteam, eine Ausstellung über „Leuchtende Bauten: Architektur der Nacht“ zu initiieren. Die erste überhaupt, die sich historisch umfassend dem aktuellen Thema widmet. Anhand frühester fotografischer Nachtaufnahmen, fantastischer Architekturentwürfe, malerischer Reflexionen, kinetischer Skulpturen und beleuchteter Modelle lässt sich feststellen: Seit der Elektrifizierung der Städte hat sich an den Inszenierungsstilen nicht viel geändert. Nur dank Computersteuerung und Leuchtdioden wird alles größer, heller, dynamischer.

Die Auseinandersetzungen um farbiges oder architektonisches Licht, wie es sie in den 20er-Jahren zwischen Amerika und Europa gab, spiegeln sich in den Debatten um die Disneysierung des öffentlichen Raums durch Mega-Screens. Die Medien verschlucken die Architektur, heißt es heute wie damals. Immer noch gibt es die Konturbeleuchtung, nur erzeugen statt der tausend Birnen nun RGB-Leuchtstoffröhren die strahlenden Umrisslinien. Wer die blitzende Millenniums-Beleuchtung des Eiffelturms für ein Sakrileg hält, der schaue sich die Aufnahmen aus den Jahren 1925 und 1937 an. Citroën hatte den Leuchtturm der Moderne zehn Jahre lang als Werbeträger genutzt und mit 250.000 Glühbirnen im 40-Sekunden-Takt wechselnde Lichtbilder gezeichnet: Das Firmenlogo erschien, Kometen, Sterne und Tierkreiszeichen. Nur der Wechsel erzeugt Aufmerksamkeit. 1937 gab es dann Festlich-Ornamentales aus Leuchtstoffröhren: Der Turm wurde zum „Kronleuchter“.

Von innen magisch strahlende Kristalle imaginierte Bruno Taut als Stadtkrone und Teil einer Sozialutopie. Heute verzaubert Jean Nouvels Torre Agbar in Barcelona mit wechselnden Farbspielen. Kristalline Glasgebirge, wie sie die Brüder Hans und Wassili Luckhardt um 1920 für einen Kultbau vorsahen, werden gerade in Gent von Claus & Kaan und in Hamburg von Herzog & de Meuron zu Opernhaus und Philharmonie weiterentwickelt. Und was in den 20er-Jahren als absolute Lichtarchitektur geplant und gebaut wurde, wie etwa der Volharding-Bau von Jan Willem Buys in Den Haag, dessen hinterleuchtete Milchglasbänder nicht nur den Baukörper akzentuierten, sondern in der Nacht auch als Träger von Werbeschriften zur Geltung kamen, braucht sich vor den LED-Medienfassaden nicht zu verstecken. Doch je mehr Bauten leuchtend für sich werben – je mehr Masterpläne beschlossen und umgesetzt werden, desto mehr setzt sich wie in Frankfurt die Erkenntnis durch: „Dunkelheit hat Qualität.“

Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart noch bis 1. Oktober, Di.–So. 10–18, Mi. und Fr. bis 21 Uhr. Katalog 39,80 €