Die Frau mit den traurigen Augen

FOTOGRAFIE Erotisch und doch distanziert wirken Nobuyoshi Arakis Bilder von seiner früh verstorbenen Frau. Eine irritierende Ausstellung in Hamburg

Ein Geheimnis liegt hinter diesem mal puppen-, mal madonnenhaften Gesicht

Diese Ausstellung ist ein riesiges Tagebuch: Das Tagebuch einer Liebesbeziehung und Ehe, die 19 Jahre dauerte und mit dem Tod der Frau endete, als sie 42 war: „Silent Wishes“ heißt die jetzt in Hamburg gezeigte Ausstellung des japanischen Fotografen Nobuyoshi Araki. Dessen einziges Thema: Frauen – zunächst seine eigene, später Modelle, wobei die späten Fotos immer vordergründiger werden und die Zartheit der frühen Arbeiten nicht mehr erreichen.

Ambivalent sind aber auch die Fotos, die er in den 1960er und 70er Jahren von seiner Frau Yoko machte: Einerseits ist da die subtile Erotik der leicht- oder unbekleidet auf Bett oder Boden liegenden Frau – und wenn es nur ein Finger ist, der lasziv mit dem Teppich spielt. Andererseits sind da Aufnahmen von Alltagsszenen: Yoko im Zugabteil, vor dem Wäscheschrank, in der Küche. Schnappschüsse sind das wohlgemerkt keine: Die Requisiten – Tisch, Stuhl, Boden, Bett – sind streng durchkomponiert und zeigen, ganz nebenbei, das karge Ambiente der engen Wohnung. Auch steht, sitzt, liegt Yoko nie ganz natürlich da: Der eckig auf den Stuhl gestützte Arm, das dekorativ drapierte Laken, selbst der verlorene Blick: Alles Posen, bis ins Detail arrangiert und festgehalten, ja: mumifiziert. Das geht so weit, dass die reglos zwischen Laken liegende Frau beinahe wirkt wie ein Teil des Mobiliars.

Im Grunde hat Araki Stillleben erschaffen, in deren Zentrum eine seltsam maskenhafte, meist traurige Frau steht, die man – so nah ihr Körper auch scheint – nie wirklich kennen kann. Vermutlich tat das nicht mal ihr eigener Mann: „Recherche“ hat Araki sein Verfahren des ständigen fotografischen Umkreisens genannt. Gereizt haben mag ihn dabei das Geheimnis hinter diesem mal puppen-, mal madonnenhaften Gesicht.

Gefunden hat er es erst kurz vor Yokos Tod: Auf diesen letzten Bildern lächelt sie, obschon von Krankheit gezeichnet, geradezu entspannt in die Kamera. Schaut, warmherzig und ein bisschen spöttisch, vom Küchentisch auf, dem Fotografen direkt ins Objektiv – und dem Betrachter in die Augen. Eine irritierende Wendung, die doch zur morbiden Atmosphäre dieser Fotos passt, denen auch etwas Surreales anhaftet. Und fast ist man geneigt zu denken: Diese stets so traurig abgelichtete Frau habe ihren frühen Tod geahnt und ihm schließlich sogar erleichtert entgegen gelächelt. Aber das kann natürlich auch alles ganz anders gewesen sein. PS

Bis 29. 8., Hamburg, Deichtorhallen