Immer weitergehen

HIP-HOP Vier Jahre hat der britische Hip-Hopper Ty am neuen Album „Special Kind of Fool“ gearbeitet. Heute stellt er es im Neidklub vor

Die wichtigste Lektion: für sich selbst zu denken und dafür auch Risiken einzugehen

VON ROBERT MATTHIES

Sich nicht an dem zu orientieren, was ringsum als richtig gilt, sondern unbeirrt den eigenen Weg weiterzugehen, das hat Ben Chijioke schon früh gelernt. Als er sich Mitte der 80er, begeistert von frühen Rap-Acts wie der „Break Machine“ und dem Südlondoner Rap-Duo „Cookie Crew“, entschieden hat, Hip-Hopper statt Anwalt oder Arzt zu werden, waren die strengen Eltern nicht gerade begeistert. Aber das ist es eben, was der in Brixton geborene und aufgewachsene Sohn nigerianischer Immigranten vor allem vom Hip-Hop gelernt hat: für sich selbst zu denken und dafür auch Risiken einzugehen.

Die ersten Schritte zum B-Boy ist Chijioke, der sich nun Ty nennt, also noch heimlich gegangen. Breakdancen, Beats basteln und Rappen hat er sich dabei nicht nur selbst beigebracht, sondern intensiv studiert. Nicht um Geld zu verdienen. Sondern aus Interesse an der Kultur. Und Musik, die dazu Substanzielles beiträgt, mache man eben nicht im Vorübergehen und ohne zu wissen, was man tut.

Genau daran aber leide der Hip-Hop heute. Sich ein Handtuch über die Schulter zu werfen und zu rappen, sei nun mal kein Beitrag zum Ganzen, zumindest dem Mainstream mangele es fundamental an der eigenen Kultur. Und seinen Protagonisten folglich an Integrität. Hip-Hop aber, der nicht mehr vorangetrieben werde, verdiene die kalte Schulter, die man ihm gegenwärtig zeige.

Ty versucht stattdessen seit Mitte der 90er beständig, etwas Relevantes zu schaffen. Auf Stücken des Broken Beats-Pioniers IG Culture taucht er das erste Mal auf, produziert Größen wie „De La Soul“ oder Talib Kweli, mit denen er auch auf Tour geht. 2000 kommt er schließlich beim „Ninja Tune“-Ableger „Big Dada“ unter, ein Jahr später sorgt sein gleichermaßen entspanntes wie ausgefeiltes Debütalbum „Awkward“ für Furore im britischen Hip-Hop und Ty avanciert zum allseits geschätzten innovativen Wortschmied.

Der Nachfolger „Upward“, selbst produziert und gänzlich ohne Feature-, Posse- oder Battle-Tracks, wird drei Jahre später für den renommierten Mercury Prize nominiert und verschafft Ty internationales Ansehen. Auf „Closer“ erweisen 2006 schließlich auch kongeniale Freunde wie „De La Soul“, „Basement Jaxx“-Sängerin Vula Maligna oder Speech von „Arrested Development“ dem Briten die Ehre.

Dann aber kommt das künstlerische Zerwürfnis mit „Big Dada“, Ty entschließt sich abermals, kompromisslos den eigenen Weg zu beschreiten. Und besinnt sich, enttäuscht vom Hip-Hop-Business, auf eine andere fest gewachsene Wurzel seines Schaffens: Spoken Word. Bereits in den 90ern war der Rap-Poet mit Schul-Workshops in der „Ghetto Grammar“-Bewegung involviert, später förderte er als Gastgeber der renommierten Londoner Poetry-Talentschmiede „Lyrical Lounge“ den dichtenden Nachwuchs. Beim aufgeschlossenen Spoken-Word-Publikum findet Ty auch nun wieder Gehör für komplexere Dichtkunst.

Die eigene Kultur dem kommerziellen Hungertod zu überlassen, das kann Ty aber dann doch nicht zulassen. Und wirft der Untergehenden nach vier Jahren mit „Special Kind of Fool“ noch mal einen Rettungsring zu. Ihn endlich aus der verhassten „Alternativ“-Ecke rausholen soll Tys neues Album. Auf dass er nicht mehr „wie ein kleines Kind“ behandelt werde, bloß weil er tatsächlich Hip-Hop macht. Und bei aller Gefälligkeit eine Momentaufnahme schwarzer Musikkultur sein, die nicht vom gegenwärtigen Klima in Großbritannien kompromittiert und in Stücke zerschnitten wird, um anschließend in eine Kiste zu passen, in die es nicht gehört.

Dem eigenen Anspruch ist Ty mit erstaunlicher Leichtfüßigkeit gerecht geworden. Und sollte jemand nach dem Konzert morgen Abend was anderes richtig finden: Gehe er doch seinen eigenen Weg. Dann kommen wir alle voran.

■ Fr, 25. 6., 23 Uhr, Neidklub, Reeperbahn 25