„Die wichtigsten Jahre verkifft“

Den ersten Joint rauchte David mit sechs bei seiner Tante, mit elf kiffte er regelmäßig. Mit Hilfe von Lernberaterin Cornelia Jantzen löste er sich fünf Jahre später vom Cannabis. Heute ist er „grasfrei“

von Kaija Kutter

„Altona“, sagt David, und zeigt aus dem Fenster, „ist für mich ein schwieriges Pflaster geworden. Für euch Erwachsene ist das vielleicht nicht so, aber für mich als Jugendlichen“, sagt der Junge, der gerade 18 geworden ist und seinen richtigen Namen nicht genannt wissen möchte. An fast jeder Ecke wird er angesprochen, ob er nicht etwas Cannabis haben wolle. Oder er trifft auf alte Freunde, die ihn ablehnen, weil er eben keine Joints mehr raucht.

Wir sitzen im Wohnzimmer von Cornelia Jantzen. Sie ist Lernberaterin und kennt David, seit er zehn ist. „Ich hab vor ein paar Jahren bei einigen meiner Jugendlichen gemerkt, dass ich einfach nicht weiter kam“, erinnert sich die Pädagogin. „Da ich wusste, dass die kiffen, dachte ich, vielleicht liegt es daran?“

Sie selbst entstammt der „Flower-Power-Generation“, die diese Droge für harmlos hielt. „Doch da hat sich meine Meinung geändert“, sagt sie. Das Marihuana von heute habe einen sehr viel höheren Anteil an rauscherzeugendem Tetrahydrocannabinol (THC). Lag der THC-Gehalt in den 70ern noch bei zwei oder drei Prozent, sind es heute im Schnitt zwanzig Prozent. „Dope war nie unschädlich“, sagt Jantzen, „aber mit diesem Wirkstoffgehalt macht es viel schneller süchtig, legt viel schneller lahm.“

„Bob Marley hat Cannabis damals hoch gebracht“, sagt David. „Das ist heute nicht mehr möglich. So verändert, macht es nicht mehr high, sondern stoned.“ David bekam den ersten Joint mit sechs Jahren von einer Tante, „weil ich nervte und nicht schlafen wollte“. Später dann, mit elf, zwölf Jahren, sei er „durch Verwandtschaftskreise und Freunde“ zum Grasrauchen gekommen. „Meine Mutter sah das kritisch, konnte aber nichts machen.“ Er war ein kluges Kind, las gerne Bücher. Doch er kiffte bald täglich, kam an das Zeug ohne Schwierigkeiten heran. „Es gab sogar einen Kioskbetreiber, der Dope unten in der Tüte mit Süßigkeiten versteckte.“

Rückwirkend sind seine Erinnerungen an seine Teenagerzeit nicht schön. „Wir rauchten in jeder Pause, um high zu sein.“ Durch den Stoff werde man paranoid und verletzbar wie ein Baby. „Man versteckt sich vor sich selber. Sucht kommt von Suche, nur man kommt nicht an.“

Seine Schulleistungen sackten ab, er musste die Schule, an der er hätte Abitur machen können, verlassen und schaffte nur den Hauptschulabschluss. Auch mit seiner Mutter zerstritt er sich und zog in eine Jugendwohnung. „Ich habe meine wichtigsten Jahre verkifft“, sagt er traurig. „Die Zeit, wo ich für mich am meisten hätte tun können.“

Auch viele seiner grasrauchenden Freunde hätten ihre Ausbildung abgebrochen, weil sie den Druck nicht aushielten. „Für Erwachsene, die mit beiden Beinen im Leben stehen, ist es schwer nachzuvollziehen, wie es uns geht“, sagt David. Die ältere Generation müsse gegenüber dem Problem eine entschiedenere Haltung einnehmen. „Die Behauptung, Cannabis mache nicht süchtig, ist falsch. Ich bin der lebende Beweis.“

Nach einem ernsten Gespräch mit seiner früheren Lernberaterin entschied er sich vor zwei Jahren mit 16 erstmals zum Entzug. „Der war hart. Ich hatte Albträume und habe nachts so geschwitzt, dass ich oft die Bettwäsche wechseln musste.“ Immerhin hielt er vier Wochen durch. Danach jedoch, die Schulzeit war vorbei, fing er wieder an, fuhr nach Amsterdam und in das Heimatland seines Vaters in der Karibik. Als er Ende 2005 zurück kam, legte ihm Cornelia Jantzen nahe, eine Drogentherapie zu machen. „Die zwei Wochen in der Klinik haben mir gut getan“, sagt David. Dort gab es Sport, und Gespräche mit anderen Betroffenen. „Nur als ich wieder rauskam, war es eben schwierig, mit dem alten Umkreis zurechtzukommen.“ Viele alte Freunde treffe er nicht mehr. „Weil diese Sache nicht mehr da ist, haben die keine Lust mehr, sagen, ich bin langweilig. Dabei passiert mir heute viel mehr.“

Heute wohnt der groß gewachsene Junge wieder bei seiner Mutter, hat eine Freundin, die nichts von Cannabis hält, und einen Aushilfsjob. Vielleicht beginnt er bald eine Lehre. „Man verliert sich leicht in Nebel und Rauch. Ich musste neu lernen, mit den Gefühlen umzugehen.“ Auch das Lesen habe er sich wieder beibringen müssen. Heute ist ihm das alte Hobby eine Hilfe. „Ich lese viel. ‚Traumfänger‘ über die Aborigines in Australien zum Beispiel ist ein tolles Buch. Die sind ohne Drogen glücklich.“

David ist fast ein Experte in Sachen Cannabis. Der Stoff komme aus Holland und der Schweiz, wo Bauern mit hochgezüchteten Pflanzen in Gewächshäusern die gefährlich hohen THC-Werte erzeugten. Das Geschäft lohne, da die Gewinnspanne der Händler hoch sei. David hat seinen täglichen Konsum durchs Taschengeld finanziert. Manchmal auch durch „nicht so gute Sachen“.

Lernberaterin Cornelia Jantzen glaubt, dass David die Dimension des Cannabis-Problems richtig einschätzt. „Wir sind dabei, eine ganze Generation mit ihren Kompetenzen zu verlieren“, sagt sie. Basierend auf Erfahrungen, die sie mit David und rund einem Dutzend weiterer Jugendlicher machte, hat sie im März in Zusammenarbeit mit den Verein „Therapiehilfe“ den Flyer „Grasfrei nur für heute“ entwickelt. Das Heft gibt jungen Kiffern Tipps für den Entzug und soll sie mit einem Vorher-Nachher-Selbsteinschätzungstest zu „Erfahrungen mit dem Clean-Sein“ motivieren. Jugendlichen mit sehr hohem Konsum wird empfohlen, zusätzlich eine Beratungsstelle aufzusuchen. Ergänzende Informationen, unter anderen ein Selbstcheck zu Abhängigkeit, finden sich auf der Homepage www.grasfrei.de. „Wir müssen aufklären, aufklären, aufklären“, mahnt Jantzen.

„Das Thema muss ganz neu aufgerollt werden“, sagt David. „Wie sollen Jugendliche das begreifen, wenn die Eltern das runterspielen?“ Den Verkauf von Cannabis zu entkriminalisieren, fände David zwar nicht schlecht. „Aber es dürfte nur in der Apotheke verkauft werden, und nur an über 18-Jährige.“ Es müsse „draufstehen, wie gefährlich es ist“. Und es dürfe nicht an netten Orten wie Coffee-Shops verkauft werden. „Ich habe in Amsterdam Leute gesehen, die wie Zombies rumliefen. Das war schrecklich“, erinnert sich David. „Erwachsene sollen nicht so einen Fame darum machen“.