Kaum mehr als Brosamen

AFRIKA Der Fußball wurde professionalisiert, in Europa oder Südamerika bleibt kein Talent mehr ungefördert. Die afrikanischen Verbände haben diese Entwicklung aber verschlafen

AUS JOHANNESBURG ANDREAS RÜTTENAUER

Die Mannschaft der Elfenbeinküste darf noch einmal spielen bei der WM. Und wenn sie es heute schafft, ganz viele Tore zu schießen gegen Nordkorea, und gleichzeitig Portugal ganz hoch verliert gegen Brasilien, dann wäre es nicht ihr letzter Auftritt bei dieser WM. Doch damit rechnet niemand. Und so werden sie wieder geschrieben werden, diese Geschichten über den maladen Zustand des afrikanischen Fußballs, die Einflussnahme der Politik auf die Teams, das kurzfristige Anheuern international halbwegs gut beleumundeter Trainer und die Korruption in den nationalen Verbänden. Und doch ist der Grund dafür, dass die Teams der großen Fußballnationen aus Europa die afrikanischen Mannschaften meistens deutlich auf Distanz halten können, nicht allein in Afrika zu suchen. Der Fußball in den Siegerländern der Weltmeisterschaften hat sich völlig neu aufgestellt in der Zeit, in der der afrikanische Fußball begonnen hat, den Anschluss zu suchen.

Der Einzug der Mannschaft aus Kamerun in das Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1990 in Italien sorgte für eine wahre Euphoriewelle. Die Zukunft, hieß es damals, gehöre dem afrikanischen Fußball. Es war das Jahr, in dem Deutschland seinen dritten Weltmeistertitel holte. Unvergessen ist Franz Beckenbauers seinerzeitige Prophezeiung, wonach des wiedervereinigte Deutschland über Jahre hinaus unschlagbar sein werde. In den meisten Ländern herrschte damals noch der Glaube, dass die Fußballbegeisterung der Menschen gepaart mit Siegen der Nationalmannschaft quasi automatisch Erfolge reproduzieren würde. Und während man in Deutschland auf die Erfüllung der kaiserlichen Prophezeiung wartete, hatte der französische Fußballverband längst begonnen, in der Jugendförderung neue Maßstäbe zu setzen.

In Clairefontaine wurde ein zentraler fußballerischer Thinktank gegründet. Im Trainingszentrum des französischen Fußballverbandes bereitet sich nicht nur die Nationalmannschaft auf ihre Spiele vor, alle begabten Jugendkicker, die in regionalen Förderzentren entdeckt wurden, werden dort regelmäßig weitergeformt. Die Klubs im ganzen Land wurden miteinander vernetzt. Die französische Kurzpasskultur verbreitete sich von Clairefontaine aus über das ganze Land. Zinedine Zidane wurde als 16-Jähriger regelrecht dazu gedrängt, von seinem Heimatverein nach Cannes zu wechseln, um sich bei einem Profiklub beweisen zu können. Sein Genie war lange schon erkannt. Und genau darum ging es den Franzosen. Kein Talent sollte unerkannt bleiben. Seitdem ist es normal, dass begabte Spieler früh gehätschelt werden. Fußballinternate, in denen die Kicker versorgt werden wie im Fünf-Sterne-Hotel, wurden gegründet. Kein Junge, der für eine Karriere ausersehen war, sollte sich abwenden vom Sport. Es wurde kräftig investiert.

Ein wenig hat davon auch der afrikanische Fußball profitiert. Französische Trainer, die in Clairefontaine ausgebildet wurden, sind nach Kamerun geschickt worden, um Entwicklungshilfe zu leisten. Bis heute findet dieser fußballtheoretische Wissenstransfer von Europa nach Afrika statt. Es sind jedoch nicht mehr als Brosamen, die für die Entwicklungsarbeit abfallen. Und während in Europa die großen Sponsoren sich mittlerweile auch für den Nachwuchs engagieren, wird der Jugendfußball in Afrika weitgehend sich selbst überlassen. Bekanntester Nachwuchsförderer im afrikanischen Fußball ist die private Akademie von Jean-Marc Guillou in Abidjan. Etliche Nationalspieler der Elfenbeinküste sind bei ihm geschult worden. Doch er arbeitet nicht im Interesse des nationalen Verbandes. Sein Ziel ist es, Spieler für den europäischen Markt auszubilden. Seine Jugendförderung ist eine Geschäftsidee. Ein nationales Konzept steckt nicht dahinter.

In Europa ist das anders. Als der Deutsche Fußballbund einsehen musste, dass er, was die taktische Ausbildung betrifft, nicht mehr mithalten konnte mit den anderen großen Fußballnationen, machte er die Nachwuchsförderung zu einem nationalen Anliegen. Seit 2002 sind 366 Leistungszentren, verteilt über das ganze Land, entstanden, in denen schon Zehnjährigen zusätzlich zum Vereinstraining die DFB-Philosophie eingeimpft wird. Für Eltern, die nicht in der Lage sind, ihre Kinder in eines der Leistungszentren zu chauffieren, werden Fahrdienste eingerichtet. Die vielen jungen Männer, die Joachim Löw in sein Aufgebot berufen hat, haben diese Fördermaschinerie durchlaufen. Es ist ein Millionenprogramm. Im sicheren Gefühl der fußballtheoretischen Überlegenheit leistet auch Deutschland Entwicklungshilfe. Das Auswärtige Amt vergibt regelmäßig Stipendien für Trainerlehrgänge. Auch der DFB bietet in der Sportschule Hennef Trainerschulungen an. Die meisten Teilnehmer daran kommen aus Afrika. In Hennef gelten Ghana oder Kamerun als sportliche Entwicklungsländer. Wie sie je Anschluss finden sollen an fußballerisch hoch entwickelte Länder wie Deutschland oder Frankreich, fragt man sich nicht nur dort.

Umso erstaunlicher ist es, dass es seit 1990 immer eine afrikanische Mannschaft in die K.-o.-Runde der Weltmeisterschaften geschafft hat. Fifa-Chef Sepp Blatter hat versprochen, dass auch bei der nächsten Weltmeisterschaft sechs Mannschaften aus Afrika teilnehmen dürfen, wenn sich ein Team vom Kontinent für das Halbfinale qualifiziert. Zumindest die Fußballbegeisterung in den Ländern, die dann dabei wären, sie könnte dann noch einmal ansteigen. Und die ist – bei aller Professionalisierung des Jugendfußballs in Europa – immer noch Grundvoraussetzung für sportliche Entwicklung.