Der Rhythmus der Röhre

POP Ein halbes Jahr lang lag Charlotte Gainsbourg regelmäßig im Kernspintomographen. Auf ihren dritten Album „IRM“ verarbeitet sie die traumatische Erfahrung

Ein halbes Jahr lang haben die eigentümlichen Geräusche eines Magnetresonanztomographen Charlotte Gainsbourg begleitet

VON ROBERT MATTHIES

Ein chaotisches und furchterregendes Schaben, Surren und Pochen von allen Seiten begleitet den medizinischen Blick ins Innerste. Ein halbes Jahr lang haben die eigentümlichen Geräusche eines Magnetresonanztomographen Charlotte Gainsbourg begleitet. Bei einem Wasserskiunfall vor zwei Jahren hatte die Schauspielerin und Sängerin eine gefährliche Gehirnblutung erlitten, die ihr beinahe das Leben gekostet hat. Nach etlichen Operationen ist die Französin heute wieder ganz gesund. Den bedrohlichen Klang des Kernspintomographen aber wird die Tochter des epochalen Chansonniers Serge Gainsbourg und der Schauspielerin und Sängerin Jane Birkin nie mehr vergessen.

Auf ihrem dritten Album „IRM“ – die französische Abkürzung für Magnetresonanztomographie – verarbeitet die 38-Jährige die traumatische Durchleuchtung ihres Gehirns: „Leave my head demagnetized, tell me where the trauma lies“, singt sie im titelgebenden Stück, während surrende Synthesizerklänge, Samples aus dem Tomographen und ein matschig-monotones Pochen den Rhythmus der Röhre nachahmen.

Wie überhaupt im Gegensatz zum eher somnambulen Sound der beiden Vorgänger „Lemon Incest“ und „5:55“, für den „Pulp“-Sänger Jarvis Cocker oder das französische Duo „Air“ verantwortlich zeichneten, ein schroffer, rhythmusbetonter Klang das neue Album durchzieht. Denn verantwortlich für die charmant-verschrobene, bisweilen disharmonische, aber immer aufwendig intrumentierte Collage aus Pop, Elektro, Blues und Chanson zeichnet diesmal kein Geringerer als Beck Hansen.

Ein ganz offensichtlich perfekt harmonierendes Team: im Proberaum hat der US-amerikanische Genre-Konventionen-Brecher der Französin kurze Melodie- und Textideen zugeworfen, die Sängerin reagierte darauf wie die Atome im Kopf auf die Magnetfelder des Tomographen. Wie lebendig der spontane Austausch der beiden kongenial Verschrobenen dabei gewesen sein muss, wird nicht zuletzt im gemeinsam gesungenen Stück „Heaven Can Wait“ deutlich, dem einzigen Duett des Albums.

Morgen Abend stellt Charlotte Gainsbourg ihren musikalischen Blick in ihr Innerstes im Schauspielhaus vor.

■ So, 27. 6., 20 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39