Reizgasstrahl im Nebel

BLICKWINKEL Ein 25-Jähriger steht vor Gericht, weil er mehrere Polizisten mit Tränengas verletzt haben soll. Die Anklage stützt sich auf Aussagen zweier Zivilbeamter, die Opfer haben den Vorfall ganz anders erlebt

Die Schilderungen des Zivilbeamten haben ein Manko: Sie decken sich nicht mit denen seiner Kollegen

Sie sind die Kronzeugen der Anklage: Zusammen mit einer Kollegin sagt der „verdeckte Tatbeobachter“ Florian S. vor dem Hamburger Amtsgericht gegen Michael. W. (25) aus. Die beiden Angehörigen einer Eutiner Beweissicherungs- und Festnahme Einheit (BFE) wollen in der Nacht zum 5. Juli 2009 Abenteuerliches beobachtet haben, als bei den Krawallen im Hamburger Schanzenviertel eine Polizeikette die Festnahme eines Flaschenwerfers sicherte.

Dabei sei den beiden ein Vermummter aufgefallen, so S., der „einen Gegenstand in der rechten Hand gehabt“ – und daraus Beamten, die ihr Visier offen hatten, ins Gesicht gesprüht habe: „Ich habe deutlich den Nebel gesehen“, sagte S. gestern vor Gericht. Dieser „Nebelmann“ sei dann zu einem Paar auf die andere Straßenseite gegangen, wo er „offensichtlich beglückwünscht und angespornt“ worden sei. Er habe eine weitere Sprühdose aus dem Rucksack der Frau genommen, sei zu der Polizeikette zurückgekehrt und habe, so S., aus „zwei Metern Entfernung“ die Polizisten, die noch vom ersten Angriff benommen gewesen seien, erneut besprüht. Er selbst, sagte S., und seine Kollegin hätten das alles genau sehen könne: Es seien nur wenige Personen auf der Straße gewesen und „wir haben ihn zu keinem Zeitpunkt aus den Augen gelassen“.

Die Schilderungen des Zivilbeamten haben einen Schönheitsfehler: Sie decken sich nicht mit den Aussagen der betroffenen Hamburger Kollegen. So erinnerte sich der Polizist Jörn R. daran, dass sich vor der Polizeikette eine „unüberschaubare Menge von Menschen“ befunden habe. Als er eine ältere Frau zu Boden geschubst habe, die sich über einen verletzten Kollegen lustig gemacht habe, sei ein Vermummter auf ihn zugestürmt und habe ihn aus fünf Metern Entfernung besprüht. „Es war ein Spritzstrahl, der mich getroffen hat“, bekräftigte R. und berichtete über Brechreiz und Atemnot. Ein Kollege wollte gleich zwei Sprayer gesehen haben. Und einen massiven Pfefferspray-Einsatz gegen die Menge auf der Straße, den Florian S. „ausschließen“ mochte, bestätigte der Polizist Jan S. gestern ausdrücklich.

Selbst Michael W., der den Anklagevorwurf bestreitet, will eine Person gesehen haben, die mit einem „Strahl“ aus einem Behältnis die Polizistenkette beschossen habe „und dann weggerannt“ sei. Er selbst, sagte W. weiter, habe aus dem Rucksack einer Bekannten ein Erste-Hilfe-Spray herausgeholt, um einer verletzten Frau zu helfen. Er habe die Dose aber in die Hosentasche gesteckt – wo sie bei seiner Festnahme auch sichergestellt wurde. Er habe sich der Polizeikette nie „mehr als zehn Meter genähert“, beteuerte W., „und sie weder bedrängt, besprüht noch mit Flaschen beworfen“. KAI VON APPEN