Odonkor knackt Ordnung

David Odonkor ist der Teilbereich-Spezialist in der Offensive, den das deutsche Team zu brauchen glaubt, um in den erwarteten Verschleißschlachten des Hochgeschwindigkeitsfußballs zu bestehen

VON RAINER SCHÄFER

Es waren nur noch wenige Wochen bis zum Start der Weltmeisterschaft, als Joachim Löw im wie stets sonnigen Freiburg darüber räsonnierte, was bei diesem Turnier zu erwarten sei. Jürgen Klinsmann und sein Assistent waren – um es zurückhaltend zu formulieren – nicht sonderlich gut gelitten in der deutschen Öffentlichkeit, kaum jemand traute der deutschen Nationalmannschaft zu, dass sie sich im eigenen Land noch vor einer Blamage retten könnte.

Was bei dieser WM zu erwarten sei? Martialisch Klingendes kam aus dem Mund des Südbadeners, der so gar nichts Kriegerisches an sich hat: „Abnutzungskämpfe“ prognostizierte Löw, Verschleißschlachten des modernen Hochgeschwindigkeitsfußballs, wie man sie bei einer Weltmeisterschaft noch nicht gesehen habe. In denen man „ohne Brutalität im Verschieben und außerordentlicher Intensität in den Zweikämpfen keine Chance hat“.

Der Fußball, der Löw vorschwebt, ist eine offensive Variante der von allen europäischen Spitzenmannschaften gepflegten schnellen Ballzirkulation. „Blitzschnell“ müsse man nach Balleroberung ausschwärmen, wie eine Faust, die sich öffnet, Überzahl in Ballnähe herstellen, schnell in die Spitze spielen.

Bei Ballverlust muss sich die Faust blitzschnell wieder schließen, die Mannschaft rückt hinter dem Ball kompakt zusammen und versucht, den Gegner auf eine Seite zu drücken – weg vom eigenen Tor. „Entscheidend ist, wie ich in höchstem Tempo verschiebe, wie ich den Gegner im Sprint so anlaufe, dass er zwangsläufig Fehler machen muss.“

Bei den drei Siegen in der Vorrunde gegen Costa Rica, Polen und Ecuador musste das deutsche Team die von Löw geforderten Eigenschaften noch nicht geballt einsetzen. Einzig gegen Polen musste es über die gesamte Distanz Druck aufbauen, Tempo machen, beschleunigen. Gerade auch über den eingewechselten David Odonkor. „Ohne Bewegung“, sagt Löw, „nur mit Querpässen, stellt man heute bei einer WM keinen Gegner mehr vor Probleme. Denn alle sind in der Lage, tief und in der Defensive gut gestaffelt zu stehen.“

Ecuador, beispielsweise, beherrscht eine nahezu perfekte Raumdeckung. Zwei eingespielte Viererketten verschieben sich in Richtung Ball und lassen den Kontrahenten kaum Handlungsspielraum, sie sollen ein Maximum an Kontrolle auf dem Spielfeld garantieren. Die Ecuadorianer verhalten sich sehr positionstreu und schematisch. Wer sich dem mäßigen Tempo anpasst, kämpft und nutzt sich ab, auf mäßigem Niveau – was in der Vorrunde dieser Weltmeisterschaft häufig zu beobachten war.

Die Ordnung auf dem Platz verlieren Teams wie Ecuador erst, wenn der Ball schnell zirkuliert, wenn schnell in die Spitze gespielt wird, hinter die behäbig agierende Abwehrkette. Der Langeweile der Quer- und Rückpässe zu entkommen ist tatsächlich durch Beschleunigung möglich.

Wann sehen wir die von Joachim Löw angekündigten Abnutzungskämpfe? Wahrscheinlich, wenn nach der Vorrunde Teams wie Argentinien, Italien, Brasilien, Niederlande oder Spanien aufeinander treffen, die bei ausgeprägter Spielkultur und höchstem Tempo erfolgreich die Balance zwischen Offensiv- und Defensivspiel halten können.

Auf elf überragende Individualisten wie Argentinien können die Bundestrainer dabei nicht setzen. „Aber mit einer perfekten Organisation, mit einer sehr guten taktischen Ausrichtung können wir solchen Gegnern ihre Stärke nehmen. Mit gutem Pressing permanent ihren Spielaufbau unterbinden und den Spielrhythmus stören.“

Das ist nicht alles. Das deutsche Team setzt weiter auf Tempo und Beschleunigung in der Offensive. Die Nominierung von David Odonkor sorgte für Verwunderung. Der laserstrahlschnelle Dortmunder ist der Vertreter einer Spezies, die im deutschen Team vor der Ära Klinsmann gerne in der Defensive eingesetzt wurden: Teilbereichspezialisten wie Christian Wörns sind ausschließlich auf das Zerstören des Spiels ausgerichtet. Odonkor ist der Teilbereichspezialist in der Offensive, die enorme Schnelligkeit ist seine prägnanteste Eigenschaft, mit der er es auch auf internationalem Niveau schafft, den Mitläufern einige Zehntel auf 100 Meter abzunehmen. Das ist eine Eigenschaft, die das deutsche Team braucht, um in den erwarteten Verschleißschlachten des Hochgeschwindigkeitsfußballs bestehen zu können, sagt Löw: „Man sieht, mit welcher Laufbereitschaft, mit welchem Engagement und Tempo auf internationalem Niveau gespielt wird. Wenn wir das nicht bringen, haben wir keine Chance. So einfach ist das. Ohne diese Dinge wird man nicht Weltmeister.“

RAINER SCHÄFER ist Chefredakteur des Fußballmagazins Rund. Dessen Juli-Ausgabe ist soeben erschienen. Die WM beobachtet Schäfer in den Stadien