Berliner Böller schmecken nicht

SILVESTER Während London mit einem essbaren Feuerwerk auf sich aufmerksam machte, setzte Berlin wieder mal auf Masse statt Klasse. Wie viele Besucher aber tatsächlich am Brandenburger Tor waren, bleibt offen

„Wo außer in London kann man so etwas erleben?“

BORIS JOHNSON, BÜRGERMEISTER

VON UWE RADA

Eine Million ist sicher untertrieben. Vielleicht waren es zwei oder drei, wahrscheinlich sogar zehn Millionen Böller, die in der kalten Silvesternacht in den Himmel geschossen wurden. Ganz genau wissen wir es nicht. Und auch bei der Zahl der Besucher, die sich auf der Silvestermeile zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule eingefunden hatten, sind die Verantwortlichen vorsichtig.

Eine Million Zuschauer, so hieß es in den Vorjahren immer stolz, hätten die Sause besucht. Bei ihrer Bilanz am Neujahrstag waren die Verantwortlichen nun zurückhaltender. Viellicht hatten sie ja die Silvester-taz gelesen. Darin wurde vorgerechnet, dass bei einer Dichte von maximal vier Personen pro Quadratmeter höchstens 300.000 auf dem Gelände Platz hätten. Die Zahl von einer Million Besucher, gab daraufhin Doren Kinzel, Sprecherin der Silvester in Berlin GmbH, zu, werde nur aus Marketinggründen genannt.

Mehrere Hunderttausend Feiernde hätten sich am Brandenburger Tor eingefunden, meldeten am Mittwoch übereinstimmend die Nachrichtenagenturen. Wie viele Gäste tatsächlich die Silvesterfeier besuchten, ist demnach unklar. Die Marketing-Gesellschaft Visit Berlin nannte lediglich die Zahl zwei Millionen. So viele Berlinbesucher waren um den Jahreswechsel in der Hauptstadt unterwegs.

Viel exakter ging es da bei der Feuerwehr zu. Sie rückte nach eigenen Angaben in der Neujahrsnacht zu 1.667 Einsätzen aus. Die Einsatzkräfte wurden allein zu 450 Bränden gerufen.

„Spektakuläre Großbrände blieben zum Glück aus“, sagte ein Feuerwehr-Sprecher. Insgesamt fuhren die rund 1.500 Rettungskräfte zwischen 19 Uhr am Silvestertag und 6 Uhr am Neujahrsmorgen etwa 100 Einsätze weniger als im Vorjahr.

Der schwerste Unfall ereignete sich an der Prenzlauer Promenade in Pankow. Ein in Deutschland nicht zugelassenen Böller riss einem 31 Jahre alten Mann die rechte Hand ab. Er habe das Feuerwerk aus Italien wenige Minuten nach Mitternacht auf einer Straße zünden wollen, sagte ein Sprecher. Der Mann kam in ein Krankenhaus.

Exakte Zahlen auch von der Polizei: Wie ein Sprecher mitteilte, sei die Silvesternacht ruhiger als in den Vorjahren gewesen. Genau 3.792 Notrufe seien zwischen 18 Uhr am Silvestertag und 6 Uhr am Neujahrstag eingegangen. Zum Jahreswechsel 2012/13 habe die Zahl noch bei 4.335 gelegen, so der Sprecher. Die Beamten rückten zu mehr als 1.800 Einsätzen aus.

Putztruppen der Berliner Stadtreinigung (BSR) beseitigten am Mittwoch die Überbleibsel der Silvesterparty. Insgesamt seien 600 BSR-Mitarbeiter und 150 Fahrzeuge in der gesamten Stadt unterwegs, sagte BSR-Sprecher Sebastian Harnisch.

Während die Berliner an Silvester immer noch auf Masse setzen, macht London, in Europa weiterhin Touristenstadt Nummer eins, auf Klasse. Etwa 50.000 Menschen konnten sich das Silvesterfeuerwerk an der Themse regelrecht auf der Zunge zergehen lassen. Passend zum Farbspektakel am Himmel wurden die Partygäste von essbarem Schnee und aromatisiertem Nebel eingehüllt. Die Besucher streckten ihre Zunge heraus, um Pfirsichflocken, Konfetti mit Bananengeschmack und mit Apfel- und Kirscharomen versehenen Nebel aufzufangen. Londons Bürgermeister Boris Johnson, sonst eigentlich Berlinfan, äußerte sich begeistert: „Wo außer in London kann man so etwas erleben?“