Positiv sollten Sie den Tag beginnen

Deutschland hat keinen Grund zum Jammern, diagnostiziert der Journalist Thomas Hanke. Denn es bewegt sich was in deutschen Landen. So schlecht geht es uns also nicht mit dem „neuen deutschen Kapitalismus“

VON JENS HACKE

Kein Wunder, dass dem Bundesfinanzminister Thomas Hankes optimistische Ortsbestimmung des „neuen deutschen Kapitalismus“ gut gefallen hat. In seiner launigen Einführung anlässlich der Buchvorstellung gratulierte Peer Steinbrück dem Journalisten zufrieden zu dessen „realistischem“ Stimmungsbericht. Endlich einmal jemand, der nicht nur rumjammert, sondern die deutschen Zustände mit Zuversicht beschreibt. Wir sind gar nicht so schlecht dran, denn: „Vieles ist möglich im neuen deutschen Kapitalismus.“ Wer sollte das besser wissen als der Meinungschef des Handelsblatts“?

In der Tat ist es zur Abwechslung ganz erfrischend, wenn sich inmitten des ewigen Genörgels und Geredes vom Scheitern der Nation ein optimistischer Ton in die Zukunftsdebatten mischt. Hanke will nämlich belegen, dass viele Vorurteile gegenüber dem „Standort Deutschland“ und der allzu kommoden sozialen Marktwirtschaft schon lange nicht mehr stimmen.

Die Macht der Verbände geht zurück, der Staatsdirigismus hat sich seit langem abgeschwächt, eine aktive Bürgergesellschaft übernimmt das Ruder. Wohin Hanke auch blickt, überall erkennt er positive Trends – und wie man es von einem routinierten Leitartikler erwartet, wird die Ökonomie geschickt mit gesellschaftlichen und kulturellen Gegenwartsphänomenen verknüpft. Das liest sich flott und stärkt das Wohlbefinden. Ist doch alles gar nicht so schlecht hier.

Übersichtliche und solide recherchierte Kapitel führen uns einen Wandel von Unternehmenskultur, Finanzpolitik und Globalisierung vor, bei dem es nur Gewinner geben kann. In beinahe urliberaler Weise fügt die „invisible hand“ (Adam Smith) letztlich doch alles zum Guten. Die Unternehmen engagieren sich fürs Gemeinwohl, retten gar den Regenwald, während paradoxerweise gleichzeitig die Shareholder für mehr gewinn- und damit effizienzorientierte demokratische Entscheidungen sorgen. Man muss kein Gewerkschaftsmitglied sein, um in Hankes Vorstellung von den „Unternehmen als gute Mitbürger“ gehörige Schlagseiten zu vermuten.

Es reicht vermutlich auch nicht, Münteferings berühmten Heuschreckenausfall ins Lächerliche zu ziehen. Interessanter wäre es, wenn Hanke sich öfter von der Aufsichtsratsperspektive lösen und die gesellschaftlichen sowie die arbeitsmarktrelevanten Globalisierungs- und Liberalisierungsfolgen ins Visier nehmen würde. Immerhin bleibt es auch dem Handelsblatt nicht verborgen, dass sich soziale Kosten einstellen und man den „neuen deutschen Kapitalismus“ nicht nur über Börsennotierungen und Exportquoten begreifen kann.

Die Liberalisierungsverlierer, potenzielle oder längst sichtbare, geraten dem selektiv wahrnehmenden Hanke aus dem Blick. Eher zaghaft deutet er an, dass „der Schlüssel für die Überwindung sozialer Schranken in der Bildung“ liege. Außer der Beobachtung, dass auch hier zu viel Staat, zu wenig Markt herrsche, ist ihm das Thema keine halbe Seite wert. Ebenso wenig Aufmerksamkeit finden die demografisch bedingten Herausforderungen für die sozialen Versicherungssysteme. Stattdessen unterhält uns der Autor mit einem seltsam aus dem Zusammenhang gerissenen Kapitel zum deutsch-amerikanischen Verhältnis.

Abschließend plädiert Hanke für den Abschied von altvertrauten Mythen. Von einer neuerlichen Beschwörung des Gründungsmythos vom Wirtschaftswunder hält er genauso wenig wie von einer angestrengten Suche nach neuerlicher nationaler oder europäischer Identitätsstiftung. Was aber soll nun dazu beitragen, nach dem Auslaufmodell Deutschland AG glücklich im „neuen deutschen Kapitalismus“ zu landen?

Auch wenn Hanke das geschmähte K-Wort begriffspolitisch geschmeidig zu rehabilitieren versucht, fällt sein Entwurf etwas konturenarm aus: die Mythen von den dunklen Mächten des Marktes bannen, den Rückzug des Staates aus der Ökonomie weiter forcieren, ach ja – und die Anpassung an Realitäten. Gern werden das diejenigen in den Berliner Schaltzentralen lesen, deren kleine Schritte ohnehin von wenig Zutrauen in die eigene Wirksamkeit künden. Die anderen wird es nicht sonderlich aufregen, denn allzu moderat nimmt sich der friedfertige Autor neben den wirklichen Vordenkern des Turbokapitals aus.

Thomas Hanke: „Der neue deutsche Kapitalismus. Republik im Wandel“. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2006, 230 Seiten, 19,90 Euro