PER MERTESACKER, ABWEHRHELD
: Der Kümmerer

■  begann seine Profikarriere bei Hannover 96. 2004 berief ihn Jürgen Klinsmann in die NationalmannschaftFoto: dpa

Es gibt eine Szene, für die Per Mertesacker sich immer noch ein bisschen schämt. Nach dem Vorrundensieg gegen Polen bei der WM 2006 zeigte er der Pressetribüne die Faust in der Art von: „Nächstes Mal Fresse halten“. Vor dem Spiel war die Leistungsfähigkeit der Abwehr in Frage gestellt worden, es „wurde einem alles abgeschrieben, was einen als Fußballer groß gemacht hat“, wie sich Mertesacker erinnert.

Vier Jahre später vor dem Achtelfinale gegen England war alles noch ein bisschen schlimmer, da stand Werders Abwehrrecke ganz allein in der Kritik: „Özil macht Mut – Merte Angst“, war zu lesen, und plötzlich galt das einstige Bollwerk als Sicherheitsrisiko der Nation. Ein paar Stellungsfehler gegen Ghana und schon war aus dem fürsorglichen „Papa Merte“, der zur Not auch mal Mesut Özil die Tasche packt, ein Pflegefall geworden, der auf die starken Schultern anderer angewiesen ist.

Vielleicht hat die Doppelrolle als Spieler und Kümmerer zuletzt tatsächlich zu sehr an ihm genagt. Schon mit 22 hat Mertesacker, der als mittlerer von drei Brüdern in Pattensen bei Hannover aufgewachsen ist, seine eigene Stiftung für benachteiligte Kindern gegründet. Er pflegt die Freundschaft zu den alten Kumpels aus Hannover und spendiert der Mannschaft vom TSV Pattensen eine Runde Bier zum Bezirksliga-Aufstieg. Und seit er 2006 nach Bremen wechselte, ist er auch noch Werders oberster Spiele-Erklärer, mal launig, mal maulig, aber fast immer klug.

Während dieser Zeit hat er sich trotz mäßigen Talents bis an die Pforte der ganz großen europäischen Clubs gespielt. Neben Disziplin und Zweikampfstärke besitzt er die spielerische Intelligenz, die die hochkomplexe Abwehrorganisation heute erfordert. „Ich will den Spielzug des Gegners aktiv erleben“, hat er mal gesagt. „Die hohe Kunst des Verteidigens ist das, was man antizipieren und vorher klären kann.“

Es hat noch keinen Spieler gegeben, der so jung Nationalspieler wurde und in kein Leistungsloch gefallen wäre. Dem nicht vorübergehend Timing und Feinabstimmung verloren gegangen wären, dem nicht in der Höhenluft von Johannisburg nach einer langen, wechselhaften Saison plötzlich ein paar Zentimeter im Zweikampf fehlten. Manchmal hilft es dann, sich mal wieder mehr um sich selbst zu kümmern, statt ständig für andere mitzudenken und den kleinen Jungs in der Mannschaft den Wecker zu stellen.

Nach dem Sieg am Sonntag gegen England hat Per Mertesacker der Pressetribüne nicht die Faust gezeigt. Seinen Aktionen war jedoch immer noch eine latente Verunsicherung anzumerken. Dafür hat er mit dem erfahrenen Arne Friedrich nun jemand an der Seite, der sich auch mal um ihn kümmert. Er hat es sich verdient. RALF LORENZEN