Härter als bei „Radikalen“

2005 schloss die Bildungsbehörde eine Muslima vom Lehramts-Referendariat aus – wegen ihres Kopftuchs. Am Mittwoch gab das Verwaltungsgericht ihrer Klage teilweise statt.

Interview: Christian Jakob

taz: Muss die Bildungsbehörde ihre Mandantin nun auf jeden Fall zum Referendariat zulassen – auch mit Kopftuch?

Volkert Ohm: Nein. Das Urteil bedeutet, dass die Bildungsbehörde prüfen muss, ob durch das Tragen eines Kopftuchs der Schulfrieden an der künftigen Schule meiner Mandantin konkret, also nicht nur abstrakt, gefährdet wäre. Wäre er das nicht, müsste sie zur weiteren Ausbildung zugelassen werden. Allerdings muss die Behörde das nicht unbedingt sofort entscheiden, weil sie gegen das Urteil das Rechtsmittel der Berufung einlegen könnte.

Halten Sie ein Berufungsverfahren für wahrscheinlich?

Ich hoffe, dass der Senator das Urteil akzeptiert. Es ist vom Verwaltungsgericht sehr schlüssig begründet worden. Das Gericht hat die Neufassung des bremischen Schulgesetzes verfassungskonform interpretiert. Wäre das Gericht der Auffassung der Bildungsbehörde gefolgt, dass die rein abstrakte Gefährdung des Schulfriedens den Ausschluss vom Referendariat zwingend gebietet, hätte aufgrund des staatlichen Ausbildungsmonopoles das Gesetz für verfassungswidrig erklären müssen. Das kann nicht im Interesse Bremens liegen. Sollte die Bildungsbehörde das Urteil nicht akzeptieren, könnte sich das Verfahren beträchtlich in die Länge ziehen – zu Lasten meiner Mandantin. Diese müsste dann weiter auf den Abschluss ihrer Ausbildung warten. Falls die Behörde letztlich den Prozess verliert, würden dann auch beträchtliche Schadensersatzforderungen auf sie zukommen.

Hätte denn Ihre Mandantin überhaupt Aussicht, nach ihrer Ausbildung in den Schuldienst übernommen zu werden?

In Bremen ist damit wohl nicht zu rechnen, sofern das Gesetz nicht geändert wird. Denn es schreibt für ausgebildete Lehrer eindeutig vor: Mit Kopftuch darf nicht unterrichtet werden. Daher müsste meine Mandantin in ein anderes Bundesland ausweichen. Acht Bundesländer haben bisher kein Kopftuchverbot erlassen, in drei davon gibt es bisher nur Gesetzesentwürfe.

Hätte Sie ihr Referendariat nicht gleich in einem dieser Länder machen können?

Sie und ihre Familie sind in Bremen verwurzelt. Außerdem musste sie nicht mit einer Ablehnung in Bremen rechnen. Das entsprechende Gesetz wurde erst im Hinblick auf ihr Ausbildungsbegehren verabschiedet. Als sie studierte, hat niemand, weder seitens der Universität noch seitens der Behörde, sie je darauf hingewiesen, dass sie mit dem Kopftuch Probleme bekommen könnte. Deswegen ist auch ihr Vertrauensschutz klar verletzt. Die Professoren haben – soweit ich weiß – alle damit gerechnet, dass sie im Referendariat keine Probleme wegen des Kopftuchs haben würde.

Sie haben im Prozess auf Widersprüchlichkeiten bei den Kopftuch-Verboten hingewiesen. Worin bestehen diese?

Ich habe in meiner Verfassungsbeschwerde gerügt, dass das Schulgesetz nicht hinreichend bestimmt ist. Im Gesetzestext ist von einer „abstrakten Gefährdung“ des Schulfriedens die Rede. Die Gesetzesbegründung und Einlassungen des Bildungssenators in der Bürgerschaft stellen dagegen auf eine konkrete Gefährdung ab. Das hat übrigens auch das Bundesverfassungsgericht bemängelt. Meines Erachtens richten sich die Gesetze, die das Tragen religiöser Symbole untersagen, unzulässigerweise primär gegen Muslima. Baden-Württemberg zum Beispiel privilegiert den christlichen Glauben in der Gesetzesbegründung, in Hessen will man der „christlichen Tradition des Landes angemessen Rechnung tragen“. Wenn der Staat entscheidet, dass Lehrkräfte weltanschaulich neutral auftreten müssen, dann muss das für alle Religionen gleichermaßen gelten. Auch hierzu hat das Bundesverfassungsgericht eine eindeutige Ansage gemacht.

Dass im Streit um Säkularität mit zweierlei Maß gemessen wird, ist ja nicht neu. Wie erklären Sie sich diese Abwehrreflexe gegenüber Muslima im Staatsdienst?

Ich kann das nur auf die nach dem 11. September gestiegene Angst vor islamischem Fundamentalismus zurückführen. Ich bin sehr besorgt darüber, dass zahlreiche Politiker diese immer schüren und kopftuchtragende Muslima in die Fundamentalismusecke drängen. Das Kopftuch wird pauschal als politisches Symbol und als Kampfansage an westliche Werte, die Gleichberechtigung der Frau und die Demokratie im Unterricht diffamiert.

Würde die senatorische Pflicht, die konkrete Verletzung des Schulfriedens zu prüfen, auch für Personen gelten, die vom „Radikalenerlass“ betroffen sind?

Den vom Radikalenerlass betroffenen Anwärtern für den staatlichen Vorbeitungsdienst wurde durchweg die Möglichkeit eingeräumt, ihr Referendariat durchzuführen und so ihre Ausbildung zu beenden. Für eine kopftuchtragende Muslima soll dieser Weg nach dem bisherigen Willen von Senator Lemke verbaut bleiben. Insofern wird bei den Muslima eine wesentlich härtere Gangart eingelegt als damals bei den „Radikalen“.