Bedauern auf brasilianisch

Die Portugiesen hoffen, ihr brasilianischer Gastarbeiter Deco möge rechtzeitig zum morgigen Achtelfinale gegen die Niederlande fit werden, um endlich sein „wahres“ Fußballkönnen zu zeigen

AUS MARIENFELD RALF ITZEL

Deco gähnt. Es ist 16 Uhr, vermutlich ist er gerade erst vom Mittagsschlaf aufgestanden. Wie immer sind auch brasilianische Reporter in das große weiße Zelt gekommen, dem improvisierten Medienzentrum neben dem Hotel der portugiesischen Nationalmannschaft. Einer schleicht sich verbal von hinten an und fragt: „Fühlst du nicht irgendwie, irgendwo im Unterbewusstsein, vielleicht doch ein klein bisschen Bedauern, dass du hier nicht für Brasilien spielst?“ Deco blickt aus dunklen Augenschlitzen schüchtern in die Runde: „Die Entscheidung ist längst gefallen“, sagt er, „es gibt kein Zurück. Und ich bin glücklich so.“

Er spricht klar und deutlich, nicht selbstverständlich bei einem mit diesem Spitznamen. Deco ist die Verschmelzung von „De“, der mittleren Silbe seines Vornamens Anderson, und der ersten von „Cuzinho“, ein derber brasilianischer Ausdruck für einen, der nuschelt. Sein Onkel nannte ihn Decu, daraus wurde Deco. Das war, bevor er mit 19 nach Portugal kam, das Land, für das er nun erfolgreich spielt.

Die Einbürgerung ist wieder ein Thema, denn erstmals nimmt der 28-Jährige vom Stadtrand São Paulos an einem Turnier teil, bei dem auch die brasilianische Mannschaft aufläuft. Vielleicht trifft man sich im Halbfinale. Beim Debüt für das Adoptivland im Mai 2003 ging es auch schon gegen die Heimat. Da gelang ausgerechnet ihm das 2:1 zu Portugals erstem Sieg gegen den Giganten seit 1966.

In Zeiten der Globalisierung ist Deco der bekannteste einer wachsenden Gruppe von Fußballern, die für ein Land spielen, in dem sie nicht geboren wurden: die Deutschen Klose und Podolski, der Italiener Camoranesi, der Engländer Hargreaves, die Mexikaner Zinho und Franco … die Liste wird immer länger. Die einzigen Nationen, bei denen das unvorstellbar ist, sind die, die anderen die meisten Gastarbeiter liefern: Argentinien und Brasilien. Sie haben ausreichend eigene Talente. So viele, dass Deco in jungen Jahren nicht in Frage kam. Doch mittlerweile ist er gut genug, selbst die Zitronengelben zu verstärken.

Für Portugal aber ist Deco ungleich wichtiger, der wichtigste Spieler sogar, und deshalb sorgt sich das Land, weil er in diesen Tagen vor dem Achtelfinale am Sonntag gegen Holland wieder manche Trainingseinheit auslassen musste. Nach einer langen Saison mit dem FC Barcelona schmerzen die Muskeln. Bislang war Deco nur gegen den Iran dabei, das 2:0 war nicht zufällig der überzeugendste Auftritt der Selecção. Er wurde zum Mann der Partie gewählt, hatte so agiert, wie Johan Cruyff es einmal schön beschrieb: „Deco ist eine ganze Mannschaft in einem Spieler: harte Arbeit, Aufopferung, Tore, Technik, alles. Er muss dabei nicht übertreiben, braucht sich nicht mit Hackentricks zu schmücken. Decos Fußball ist die Wahrheit.“

Die portugiesischen Fans haben ihn immer gemocht. „Die Leute haben mich auf der Straße angehalten und mich aufgefordert, für sie zu spielen“, erzählte er einmal, „ich habe gefühlt, dass ich diesem Land, das mich so gut aufgenommen und mit so viel Zärtlichkeit behandelt hat, etwas zurückgeben sollte.“

Die Zuneigung der Menschen ist aber nur eine Voraussetzung für Sportler, die in der Auswahl der Gastnation triumphieren wollen. Vor allem müssen sie besser sein als die einheimischen Konkurrenten und mental stabil. Bei den Portugiesen bangten Rui Costa und Luis Figo um ihre Pfründen und sprachen sich gegen den Neuen aus. „Die Nationalhymne lernt man nicht“, sagte Figo, „man fühlt sie.“

Vor dem Iran-Spiel hat Deco nicht mitgesungen. Figo akzeptiert ihn mittlerweile, schätzt ihn sogar, weil die Elf mit ihm erfolgreicher ist. Beim Mannschaftsfoto sitzen sie nebeneinander, Figo stützt sich auf Decos Oberschenkel. Beim Einschwören im Kreis umarmen sich alle, Figo steht neben Deco. Später legt Figo ihm den Ball zum 1:0 auf. Einmal tackelt der Kapitän erfolgreich, Deco hebt den Daumen. Wie sich die Zeiten geändert haben, auch wenn er sagt: „Ich habe mich nie an den Rand gedrängt gefühlt.“

Es könnte sein Jahr werden. Mit dem FC Barcelona ist er Meister geworden und hat die Champions League gewonnen, wie schon 2004 mit dem FC Porto in Gelsenkirchen. Und jetzt hofft er auf einen Erfolg bei seiner ersten WM. Schon als Kind träumte er davon, „seit ich Zico 1986 im Fernsehen sah“.