Von Berlin nach Liebe

AUTOBAHN Der Weg einer Fernbeziehung

VON FREDERIKE EBERT

705 Meter A 100. 27,43 Kilometer A 115. 19,85 Kilometer A 10. 410,35 Kilometer A 2. 87,63 Kilometer A 1. 7,47 Kilometer A 3. Die Straßen sind mein Zuhause. 573,4 Kilometer liegen zwischen dem Ort, an dem ich wohne, und dem Menschen, bei dem ich mich heimisch fühle. Berlin und Köln sind die Städte, in und zwischen denen sich mein Leben abspielt: in der ersten die Uni, in der zweiten meine Freunde, meine Familie – mein Freund. Im Oktober kam die Zulassung zum Masterstudiengang. Ich sagte Ja, ohne Nein zu der Beziehung sagen zu wollen. Nach sechs Monaten sind die Autobahnen zu meiner Heimat geworden, die Raststätten zu vertrauten Wegmarken.

52 Prozent der Deutschen zwischen 20 und 35 Jahren haben schon einmal auf Distanz geliebt. Die Sehnsucht ist groß und der Geldbeutel klein, die Homepage www.mitfahrgelegenheit.de immer unter den Top-Ten-Klicks unserer Rechner. Die Bahnfahrt mit dem ICE ist zu teuer. Fliegen ist häufig günstiger, will aber langfristig geplant sein – keine adäquate Option, wenn einen die Sehnsucht überfällt. Fünf bis elf Stunden Fahrzeit nehmen wir alle ein bis zwei Wochen in Kauf, damit aus einer Fernbeziehung keine Entfernbeziehung wird.

38 Tankstellen auf der Hinfahrt, 40 Tankstellen auf dem Rückweg. Einige davon sind mir vertraut. Ich weiß, an welcher Theke ich mir einen Schlüssel für die Toiletten aushändigen lassen muss, wo ich Kleingeld für die Sanifair-Anlage benötige, ob es noch eine Klofrau gibt. Ohne die genaue Entfernung zum Ziel zu wissen, bilden die Raststätten Orientierungspunkte, gliedern die Restdistanz in gefühlte Zeit.

„Toilettenbenutzung 0,30 Euro. Danke!“ Statt eines kleingeldfressenden Automaten begrüßt mich ein handgeschriebener Zettel, halb verborgen unter einem verstaubten, verblichenen Plastikblumenstrauß. Die antiquierte Dekoration steht im Kontrast zur futuristischen Architektur dieser Tankstelle, die meistens der letzte Stopp ist. Zeit, noch die Haare zu kämmen, das Outfit zu überprüfen und nachzuschminken. Das Kosmetiktäschchen immer im Handgepäck, ein bisschen albern nach einem Jahr Beziehung, aber alles geben, um mit einem „Toll siehst du aus!“ begrüßt zu werden.

Mitfahrgelegenheit Berlin–Köln: 25 Euro. Nescafe Xpress Latte macchiato: 2,69 Euro. Sich endlich wieder in den Arm nehmen können: unbezahlbar. Leider ist das Leben kein Werbespot. Genauso wenig wie unser Wille, diesen Zustand auf Dauer aufrechtzuerhalten. „Du in Berlin und ich in Köln, aber auf bald – und im Herzen sowieso – miteinander vereint“, steht in einem Brief, der kurz nach meinem Umzug den Weg in meinen Briefkasten gefunden hat. Zwei Jahre dauert das Studium, ebenso lange halten Fernbeziehungen im Schnitt. Und dann? Von 600 Kilometern Entfernung auf 60 Quadratmeter Gemeinsamkeit?

■  Frederike Ebert, Köln–Berlin