„Harte Arbeit kannte ich vom Bauernhof“

HAUSBESUCH Koreanische Bergleute wie er waren gesuchte Arbeitskräfte in der alten Bundesrepublik. Bei Shin Sung-sik

VON SASKIA HÖDL
(TEXT) UND AMÉLIE LOSIER (FOTOS)

Berlin-Schöneberg, im koreanischen Verein „Glück auf e. V.“ bei Shin Sung-sik (67)

Draußen: Ein Straßenlokal in einem weißen Altbau. Die weiße Tür mit Strukturglas steht einen Spalt offen, lässt Wärme auf die Straße. Das einfache Türschloss legt nahe, dass es hier nicht viel zu holen gib. Ein Holzschild mit koreanischen Schriftzeichen. Auf dem Fenstersims ein Aschenbecher. Ein kleiner älterer Mann mit Brille, legt seine Zigarette ab und holt ein braunes Päckchen aus seiner Jackentasche. „Wollen Sie auch eine?“ Im Fenster ein Plakat („Son Kee-chung Marathon, Tempelhofer Park, September 2012“).

Drin: Der Vorraum ist Internetcafé, Trophäenzimmer und Bibliothek. Auf dem Fensterbrett stehen etwa zwanzig Pokale. Bücherregale verstecken die Wände. Alte dicke Bücher links, bunte Taschenbücher rechts, einige haben ein kleines rotes Herz am Buchrücken. Vor der linken Bücherwand stehen fünf Computer. Den hinteren Raum teilt ein langer Tisch in zwei Hälften. Neonlicht. Kaffee dampft aus der Thermoskanne, geblümtes Porzellan, auf einem Teller sind Mandarinen zu einer Pyramide gestapelt. An der Wand Bilder mit Schriftzeichen und exotischen Pflanzen („Eine Ausstellung. Die Künstlerin ist Ärztin“). Gitter vor den Fenstern, eine grüne Wandtafel neben einer antiken Standuhr. Die deutsche und die südkoreanische Flagge, dazwischen ein Bild der Präsidentin Park Geun-hye („Sie ist die erste Frau in diesem Amt. Wir waren sehr stolz, mal sehen, wie sie sich schlägt“).

Was macht er? Seit seiner Pensionierung 2012 führt Herr Shin wöchentlich seine Landsleute durch Berlin, „beim Checkpoint Charlie“. Er ist Vorstandsmitglied im koreanischen Verein „Glück auf e. V.“, bereitet Veranstaltungen vor und schreibt für die Vereinszeitung („1.400 Stück werden monatlich an die Mitglieder geschickt“). Er pflegt die Gärten seiner katholischen Gemeinde und der koreanischen Botschaft: „Laub sammeln, mähen, düngen. Zwei Jahre mach ich das noch, dann ist Schluss.“

Was denkt er? Herr Shin geht gerne wandern. Im Herbst, mit seiner Frau, in Garmisch Partenkirchen. Seine Heimat nennt er Korea, er stellt kein Süd- davor. 2005 war er das letzte Mal da. Zurück wollte er nie. „Das wusste ich ab dem ersten Tag.“ Herr Shin hat drei Kinder: einen Sohn (38), zwei Töchter (32 und 27). Sie leben alle in Beziehungen. „Mit Deutschen. Leider. Ich hätte ja lieber Koreaner.“ Ganz ernst meint er das nicht. Korea hat sich sehr verändert, seit er weggegangen ist. „Ich bin sehr stolz, dass sich das Land wirtschaftlich so entwickelt hat. Heute vertrauen viele Länder auf die Arbeit der Koreaner.“ Deutschland sei auch auf einem guten Weg: „Zusammen mit der SPD kann die CDU viel Gutes erreichen.“

Shin Sung-sik: 1946 in Korea geboren. Acht Geschwister, die Familie lebt auf einem Bauernhof („Damals gab es sehr große Familien in Korea – wie bei den Moslems“). Durch den Koreakrieg ist das Land sehr arm, es gibt kaum Arbeitsplätze, man lebt in einer Militärdiktatur. Nach dem Abitur verbringt Herr Shin drei Jahre beim Militär. Über das deutsch-koreanische Anwerbeabkommen bewirbt er sich 1971 für eine Stelle im Bergbau in der BRD („Die Anzeige habe ich in einer Zeitung gesehen. 5.000 Bewerbungen gab es, 400 wurden genommen“). Mit Bergbau hatte er eigentlich nichts am Hut. „Aber harte Arbeit kannte ich vom Bauernhof.“ Seit dem 16. Dezember 1963 kommen viele seiner Landsleute auf diesem Weg nach Deutschland („bis 1977 waren es 8.000 Bergbauarbeiter und 10.000 Krankenschwestern“). Die meisten sind überqualifiziert („etwa achtzig Prozent waren Studenten“). Wie viele andere auch schickt er zwei Drittel seines Lohns der Familie („Wirtschaftlich gesehen war das eine sehr koreanische Regelung“). Aus der Ferne ermöglicht er zwei Brüdern das Studium. Er arbeitet in der Zeche Friedrich Heinrich in Kamp-Lintfort, NRW. Der Arbeitsvertrag ist auf drei Jahre befristet: „Viele sind dann nach Amerika oder Kanada gegangen. Wir waren sechzig Leute, nur zwei durften bleiben.“ Er ist einer davon. 1974 wird er Hilfsdolmetscher („Ich habe den Neuen erklärt, was zu tun ist“). 1975 lernt er seine Frau kennen, eine Koreanerin, die als Krankenschwester in Berlin arbeitet. Ein Jahr darauf findet er eine Stelle bei BMW in Berlin-Spandau, er bleibt, bis er 2012 in Rente geht.

Das erste Date: Er war 29, sie 28. Er spielte in der dritten Bundesliga Tischtennis, sie machte Urlaub in Mönchengladbach. Die erste Verabredung war im Autokino: „Sie war beeindruckt, ein Auto hatten damals nicht viele unserer Landsleute. Es war ein silberner Opel Kadett.“

Die Hochzeit: Am 9. März 1976 in Kamp-Lintfort. 200 Gäste, die Kumpel feierten mit, die Familie konnte nicht dabei sein. „Das war zu teuer, etwa 3.000 DM kostete der Flug. Meine erste Reise nach Deutschland hat mein Arbeitgeber bezahlt. Die Hälfte davon musste ich zurückzahlen.“

Der Alltag: „Ich habe 36 Jahre in der Frühschicht gearbeitet, noch heute stehe ich um 5 Uhr morgens auf. Das kann ich nicht mehr ändern. Dabei gehe ich erst um 23 Uhr schlafen.“ Herr Shin fährt viel Fahrrad, in seiner Zeit bei BMW jeden Tag. „Einmal hatte es minus 17 Grad und es lag Schnee. Ich war der Einzige, der trotzdem mit dem Rad kam.“

Wie finden Sie Merkel? „Ich bin Katholik und wähle seit zwanzig Jahren CDU. Gut, dass Merkel wiedergewählt wurde.“

Wann sind Sie glücklich? „Wenn ich helfen kann. In Berlin leben 6.000 meiner Landsleute, viele Frauen haben keinen Mann. Also helfe ich ihnen, wo ich kann.“

Nächstes Mal treffen wir Familie Lang in Wiesbaden. Sie wollen auch einmal besucht werden? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de