Staatsakt für Neudeutsche


Einbürgerungstests und Gesinnungsfragen bezeichnet man in Rodenkirchen als „Quatsch“

AUS KÖLN NADINE FRENTHOFF

Günther Beckstein wäre stolz, könnte er sie jetzt sehen. Aus der schrammeligen Stereoanlage erklingen die ersten Töne der deutschen Nationalhymne. „Einigkeit und Recht und Freiheit“, quäkt der Chor vom Tonband, und die 18 frisch gebackenen Deutschen stehen genauso stocksteif da wie die meisten deutsch Geborenen zu einem solchen Anlass auch. Es ist der Augenblick, wo die neu Eingebürgerten im Rathaus von Köln-Rodenkirchen so deutsch wirken, wie sie deutscher gar nicht sein könnten. Dabei haben sie ihre neue Staatsangehörigkeit gerade erst aus den Händen von Bezirksvorsteherin Monika Roß-Belkner (CDU) erhalten.

Die acht Frauen und zehn Männer wirken so überzeugt, dass Bayerns Innenminister sich bestätigt fühlen müsste. Aber schließlich sollten eingebürgerte Deutsche in allem noch ein bisschen besser sein als „echte“ Deutsche. Wie bei dem von Beckstein (CSU) und Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) propagierten Einbürgerungstest. Auch hier sollen die Immigranten schlauer und toleranter sein und Fragen nach deutschen Philosophen, Mittelgebirgen oder der Rücksicht auf Schwule richtig und angemessen beantworten.

Doch zurück zu den acht Frauen und zehn Männern aus Serbien, Brasilien, Angola und neun anderen Staaten; Migranten aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien, die sonst die größte Gruppe der Neubürger darstellen, sind diesmal nicht dabei. Die 18 haben sich entschieden, Deutsche zu werden, und darauf warten sie nun im großen Sitzungssaal des Rodenkirchener Rathauses, der mit seinen grün bezogenen Polsterstühlen und den verkratzten Holztischen höchstens Amtsstubencharme hat. Da peppen auch Deutschland- und NRW-Flagge nichts mehr auf.

Und doch soll der Moment ein feierlicher werden. So steht es in der Einladung: „Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit im Rahmen einer Festveranstaltung“. Sähe es finanziell nicht so schlecht aus, „würden wir es netter machen, vielleicht ein Gläschen Sekt anbieten“, versichert Inge Duman, die stellvertretende Leiterin des Bürgeramtes. Fast entschuldigend fügt sie hinzu: „Wenn Kinder da sind, haben wir zumindest ein paar Bonbons.“

Die volljährigen Neu-Deutschen in Rodenkirchen bekommen statt Süßigkeiten und Sekt warme Worte von Bezirksvorsteherin Monika Roß-Belkner. „Sie haben sich entschlossen, sich zu diesem Land und seinen Menschen zu bekennen“, begrüßt die Rodenkirchener Bürgermeisterin die Einbürgerungswilligen. „Dazu möchten wir ihnen alles Gute wünschen.“ Doch bevor sie die Urkunden verteilt, die die leicht angespannt wirkenden Männer und Frauen zu Deutschen machen, hat sie noch ein wichtiges Anliegen. „Ich möchte Ihnen die ersten drei Artikel des Grundgesetzes vorlesen“, sagt Roß-Belkner. Und dann legt sie los mit Menschenwürde, Persönlichkeitsrechten, Gleichheit – und fügt dann kurzerhand noch Artikel 4 hinzu: Glaubensfreiheit. „Und jetzt darf ich Sie ermuntern, sich für diese Gesellschaft einzusetzen, für sie aktiv zu werden“, schließt die Bezirksvorsteherin. Dazu zählt, natürlich, auch das Weiterlernen der Sprache. „Die ist die Voraussetzung, gut miteinander zu leben.“

Dann schreitet die Bürgermeisterin zur Tat und ruft jeden Einzelnen der künftigen Deutschen auf. Manche von ihnen sind in Jeans und Pulli gekommen, andere in schicker Bluse mit feinem Schal. Feierlich drückt ihnen Roß-Belkner nach einander die Hand und überreicht die Urkunde. Von Inge Duman bekommen sie zudem das Grundgesetz und einen Köln-Führer mit ein bisschen Stadtgeschichte und Tipps zu Sehenswürdigkeiten und Kneipen. „Sehr feierlich“, findet der 23-jährige Adrian Ispas und gibt zu, ein bisschen bewegt zu sein. Anderthalb Jahre hat er auf diesen Tag gewartet. Nun ist er Deutscher.

Insgesamt aber ist das Interesse am deutschen Pass gesunken. Während 2004 noch 3.183 Wahl-Kölner einen Antrag stellten, waren es 2005 nur noch 2.544. Worin der mangelnde Wille begründet ist, weiß auch Pia Heller, Sachgebietsleiterin für Einbürgerungen bei der Stadt Köln, nicht: „Ich schätze, es liegt daran, dass es keine Mehrstaatlichkeit mehr gibt. Wer einen deutschen Pass möchte, muss seine ursprüngliche Nationalität aufgeben.“

Da hat Adrian Ispas mehr Glück. Der 23-jährige Franzose darf dank eines Abkommens zwischen der Bundesrepublik und Frankreich deutsch sein, ohne aufzuhören, französisch zu sein. „Das ist auch gut so, denn ich fühle mich beiden Ländern zugehörig“, erzählt Ispas, der seit 20 Jahren in Köln lebt. „Für mich war es also kein Opfer, deutsch zu werden.“ Im Gegenteil: „Jetzt kann ich endlich wählen gehen.“

Einmal im Monat findet eine solche Einbürgerungszeremonie in Köln-Rodenkirchen statt, in anderen Stadtteilen holen die Neubürger ihre Urkunde einfach nur im Rathaus ab. Rodenkirchen aber bietet die Zeremonie nicht erst an, seit Beckstein sie zur Pflicht machen will. „Wir machen diese Feiern schon lange“, sagt Monika Roß-Belkner. „Schon meine Vorgängerin hat das so gehandhabt.“ Fühlt sie sich denn bestätigt durch die Becksteinsche Forderung, daraus eine Pflicht zu machen? „Eigentlich habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht, weil wir die Zeremonie ja sowieso haben. Es gehört sich einfach, die Neubürger willkommen zu heißen,“ sagt die Bezirksvorsteherin. Sie einen Eid auf die Verfassung schwören zu lassen, hält sie allerdings für übertrieben. „Das würde die Bezirksebene überstrapazieren.“ Auch Einbürgerungstests à la „Wer wird Millionär“ und Gesinnungstest, wie Hessen und Baden-Württemberg sie am liebsten durchgesetzt hätten, stoßen im Rodenkirchener Rathaus nicht auf Gegenliebe. „Quatsch sind solche Wissensfragen, ja, Schwachsinn“, bricht es aus der stellvertretenden Bürgeramtsleiterin Duman heraus. „Und auf Gesinnungsfragen kann man sich vorbereiten.“

Ausgerechnet mit der Verfassung passiert dann bei der Verleihung der Urkunden eine kleine Panne: Es gibt keine Grundgesetzbücher mehr. „Das tut mir leid“, windet sich Inge Duman. „Trotzdem herzlichen Glückwunsch, aber ein Grundgesetz hab ich nicht mehr für Sie.“ Wenn das Herr Beckstein wüsste. Der Herr aus Polen, der leer ausgeht, tröstet die beiden offiziellen Damen in lupenreinem Deutsch: „Kein Problem, ich habe sowieso schon eines zu Hause.“ Gut vorbereitet.

Um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen, müssen Immigranten acht Jahre in Deutschland gelebt haben und gut Deutsch sprechen. Sie dürfen nicht in Konflikt mit dem Gesetz geraten sein und nicht selbst verschuldet auf Kosten des Staates leben. Nicht zu vergessen: Sie müssen sich zur „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ bekennen und erklären, was man darunter versteht. Häufigste Ablehnungsgründe sind laut Pia Heller Straffälligkeit und fehlende Deutschkenntnisse. Wenn die Behörden dann ihr Plazet geben, heißt es erst mal zahlen: 255 Euro kostet die Einbürgerung für Erwachsene, 51 Euro für Kinder.

Wie lange es dauert, variiert sehr stark. Der eine wartet drei Jahre, bei der anderen dauert es sechs Monate. Wie bei Hongyan Gong (39). Woran es gelegen hat, dass es so schnell ging, weiß die gebürtige Chinesin auch nicht. „Vielleicht, weil ich so fleißig Steuern gezahlt habe“, sagt sie und grinst. Gong ist ein Sprachtalent, spricht neben Deutsch, ihrer Muttersprache und Englisch auch fließend Norwegisch. In Deutschland lebt sie bereits seit neun Jahren, hat mit ihrem deutschen Lebensgefährten einen zweieinhalbjährigen Sohn. Warum wollte sie Deutsche werden? Gong lacht. „Das hat eher pragmatische Gründe. Ich bin im Marketing tätig, und es war immer äußerst unpraktisch für mich, mit dem chinesischen Pass auf Dienstreise zu gehen. Es ging nie spontan.“

Dafür braucht sie künftig ein Visum für die alte Heimat. Wenn sie ihre Eltern besuchen will, zum Beispiel. „Das wird vielleicht ein bisschen komisch, wenn ich zum ersten Mal ein Visum beantragen muss“, sagt sie.

Auf eben diese Wurzeln geht der Bezirksbürgermeister der Innenstadt, Andreas Hupke (Grüne), in seinen Zeremonien ein. „Bekennen Sie sich dazu“, gibt Hupke den neuen Deutschen stets mit auf den Weg. „Das ist wichtig, um zu überleben.“ Doch er empfiehlt ihnen ebenfalls, sich mit der deutschen Kultur zu befassen und sich zu integrieren.

Ronak Mostafaei wird gar nichts anderes übrig bleiben, als sich auf die deutsche Kultur einzulassen. Die 24-Jährige, die seit neun Jahren in Deutschland lebt, kann nicht mehr zurück in ihre Heimat. Ihre regimekritischen Eltern sind zusammen mit ihr und ihrer Schwester aus dem Iran geflohen, eine Rückkehr kommt aus Sicherheitsgründen nicht in Frage. Es sei ihr aber auch nicht schwer gefallen, ihren Pass abzugeben, erzählt sie. „Ich bin froh, endlich Deutsche zu sein. Hier muss man keine Angst haben, seine Meinung zu sagen.“