Heimliches Bündnis der „Revolutionssteuer“?

Ermittlungen gegen ETA-Erpressungen betreffen plötzlich auch Funktionäre der im Baskenland regierenden PNV

MADRID taz ■ Die Ermittlungen des spanischen Richters Fernando Grande-Marlaska und seiner französischen Kollegin Laurent Levert gegen den Finanzapparat der baskischen Separatistengruppe ETA ziehen unerwartete Kreise. Nach der Verhaftung vor einer Woche von zwölf mutmaßlichen Schutzgeldeintreibern beiderseits der Grenze, muss heute das Vorstandsmitglied der im Baskenland regierenden gemäßigt-nationalistischen PNV, Gorka Aguirre, vor den Kadi in Madrid. Ihm wird vorgeworfen, ein Teil des Apparats zu sein, der die „Revolutionssteuer“ von Unternehmern eintrieb. Gleich danach wird der PNV-Chef Xabier Arzalluz verhört werden. Er ist als Zeuge geladen.

Der PNV-Vorstand wirft Richter Grande-Marlaska vor, „dem Prestige der Justiz zu schaden“ und eine Politik der „Gerichtsshows“ zu praktizieren. Aguirre habe aus „humanitären Gründen“ zwischen ETA und Unternehmern vermittelt. ETA hatte immer wieder Anschläge auf Unternehmen verübt, deren Besitzer nicht bezahlen wollten. Manche Unternehmer wurden entführt, andere gar getötet.

Die Aufregung bei der PNV ist verständlich, denn Aguirre ist nicht irgendein Parteimitglied. Der 56-Jährige ist der Neffe des ersten baskischen Regierungschefs José Antonio Aguirre. Im Parteivorstand ist er für die Beziehungen zu anderen Organisationen zuständig. 1998 hatte er dank seiner guten Beziehungen aus den Jahren des Exils unter der Franco-Diktatur mit ETA einen Waffenstillstand ausgehandelt, der allerdings bald wieder beendet wurde. Auch seine jüngsten Kontakte mit ETA seien erfolgt, um einen „Friedensprozess zu unterstützen“. ETA hält seit Ende März einen „permanenten Waffenstillstand“ aufrecht und will mit der Regierung in Madrid verhandeln.

Doch die Ermittlungen in Sachen Schutzgelder lassen auch andere Schlussfolgerungen zu. Aguirre traf sich immer wieder mit dem Chef des Erpresserrings, Joseba Elosua, in dessen Restaurant im baskischen Irún. Zuletzt wurde er am 20. April dort gesehen. Aguirre verließ das Lokal mit einer Zeitung unter dem Arm, in der sich mehrere Umschläge befanden. Erpresserbriefe, die ETA dank des Waffenstillstandes nie abgeschickt habe, vermuten die Ermittler.

Zwei Tage zuvor hatten die Behörden ein Telefongespräch abgehört, in dem Elosua Aguirre mitteilte, dass die Schutzgelderpressung wegen des Waffenstillstandes komplett eingestellt worden sei. Er forderte Aguirre auf, ihn sofort zu informieren falls dennoch Erpresserbriefe bei Unternehmern eingingen.

Die Razzia gegen die Erpresser, bei der auch der 73-jährige ETA- Mitbegründer Julen Madariaga festgenommen wurde, veranlasste ETA zu einem Kommuniqué. Darin wurde die Regierung in Madrid aufgefordert, „ihren Verpflichtungen des Waffenstillstandes“ nachzukommen und die Repression gegen Separatisten einzustellen. Gleichzeitig wurde der Straßenkampf jugendlicher ETA-Anhänger wieder belebt. Am Wochenende wurden Brandanschläge auf ein Büro der in Madrid regierenden sozialistischen PSOE, ein Gerichtsgebäude sowie zwei Banken verübt. REINER WANDLER