„Wir brauchen mehr Mut zur Inszenierung“

Hamburgs Kirchen reagieren auf die WM mit WM-Andachten, Fußball-Ausstellungen und Public Viewings. Das demonstriert Offenheit – wo aber hat die ihre Grenzen?Hauptpastor Christoph Störmer über die Gratwanderung zwischen Engagement und Anbiederung

Am Sonntag finden in Deutschland immer noch mehr Menschen den Weg in die Kirchen als am gleichen Wochenende in die Fußballstadien.

taz: Herr Störmer, gibt es einen Fußballgott?

Christoph Störmer: Natürlich gibt es keinen Fußballgott, das ist eine mediale Wortschöpfung, die grenzwertig ist. Das Thema ist medial immer wieder so aufgeladen worden, dass es eine religiöse Qualität bekommen hat: Mit der „Hand Gottes“ zum Beispiel. Das kommt von dem Moment des Unverfügbaren im Fußball.

Stört Sie die sakrale Überhöhung im Fußball?

Nein. Ich sehe das als ein Bedürfnis der Menschen, ihre Emotionen zu verbalisieren, und das auch in den höchsten Tönen, die möglich sind. Ich finde, wir können als Kirche auch viel lernen von den Inszenierungen des Fußballs: Da gibt es Chöre, da wird ein Teppich ausgerollt, da gibt es Countdown-Zähler in der Stadt, die an den Advent erinnern. Als evangelische Kirche, die ihre Räume sehr nüchtern gestaltet, entdecken wir neu, dass zur Religion Emotion, Präsenz und Körperlichkeit gehören.

Was kann die Kirche konkret vom Fußball lernen?

Fußball ist ja organisierte Überraschung. In den 90 Minuten läuft das ganze Leben ab: Komme ich aus der Deckung oder nicht, spiele ich zusammen oder bin ich ein Egoist. Man erlebt Niederlage und Neubeginn. Wir brauchen mehr Mut zur Inszenierung eines Gottesdienstes, in dem man sich leibhaftig erlebt und nicht etwas abgespult wird, von dem alle wissen, es ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Dieses Moment der Überraschung muss im Gottesdienst vorkommen, aber auch das Moment der Wiederholung. Fußball ist ja auch ein Ritual, aber gleichzeitig ist der Verlauf des Spiels nicht verfügbar.

Nun ist die Kirche in Hamburg sehr aktiv mit WM-Veranstaltungen: Es gibt WM-Andachten, Slogans wie „Klinsmanns Buben in Gottes Stuben“ und in Ihrer Kirche in St. Petri die Ausstellung „Fußballhimmel“. Biedert sich die Kirche nicht zu sehr an?

Die Stadt betont die Gastfreundschaft zur WM, und an der Stelle haben wir uns eingeklinkt als Kirche und gesagt: Unsere Tore stehen offen für Menschen aus aller Welt. Die Menschen sollen entdecken, dass das ein Ort der Beseelung ist, der nicht zugeballert mit Fußball ist. Hier in der Innenstadt war auch der Wunsch vom Fan Office, in einer Hauptkirche Public Viewing zu machen. Da haben wir gesagt: Nein. Wir wollten stattdessen gerne ein „Beggars Banquet“ anbieten – eine einfache Mahlzeit in der Rathauspassage – und auf unser Seelsorgezentrum hinweisen, das wie die täglichen Andachten mehrsprachig ist – also für Fans offen.

Wären Sie nicht glaubwürdiger, wenn Sie auf die „Fußballhimmel“-Ausstellung verzichtet hätten?

Das ist hoch umstritten, auch im Kirchenvorstand. Weil einige meinen, das ginge zu weit, wenn dann am Ende auch noch eine Versteigerung stattfindet mit Corny Littmann. Der Auftrag an die Künstler war, sich mit dem Phänomen Fußball, das ja auch ein Massenphänomen ist, kritisch auseinander zu setzen. Die sozialen, die religiösen, die psychologischen Konnotationen um den Fußball darzustellen. Insofern hat die Ausstellung etwas Sinnliches, bietet aber gleichzeitig einen Diskurs an. Und natürlich gibt es da Grenzen: Fußball kann nicht das leisten, was Religion leisten kann an Trost und Tragfähigkeit. Es gibt da diesen Werbespot: „Endlich hat das Leben wieder einen Sinn“ zum Start der Bundesliga. Darüber kann ich nur lachen. Aber wir können nicht leugnen, dass für Viele der Fußball ein Stück Sinnstiftung und Beheimatung ist. Es passiert dort etwas, was Kirche auch leisten will, nämlich generationen- und einkommensübergreifend die Menschen zu erreichen.

Das Nebeneinander von Fußball und Kirche klingt nach einer Gratwanderung.

Das ist sicher eine Gratwanderung. Man kann ja auch eifersüchtig werden auf das Phänomen und sagen: Denen gelingt es, so viel zu mobilisieren, wie es der Kirche bestenfalls an Kirchentagen gelingt. Wobei ein Blick in die Statistik uns eines Besseren belehrt: Am Sonntag finden in Deutschland immer noch mehr Menschen den Weg in die Kirchen als am gleichen Wochenende in die Fußballstadien. Von daher können wir auch mit Gelassenheit da rangehen und müssen nicht hinterherhecheln. Aber es wäre eine schlechte Botschaft, wenn wir uns vor einem Ereignis wie der WM verschließen.Interview: Klaus Irler