Teuer gerechnet

Für viele Bezirke ist es billiger, fremde Gebäude anzumieten, als eigene zu nutzen – angeblich, weil deren Unterhalt zu viel kostet. Grund ist jedoch ein Buchungstrick des Finanzsenators, der Unterhaltskosten künstlich erhöht. Zum Nachteil der Bezirke

von Christoph Villinger

Zwei Jahre lang plante das Kreuzberger Jugendamt seinen Umzug in ein bezirkseigenes Gebäude, das zum Bethanien-Komplex gehört. Mehrere hunderttausend Euro investierte der Bezirk in die Neukonzeption der Jugendarbeit mitten im Kiez. Nun steht der Umzug in das so genannte Seminargebäude an der Adalbertstraße plötzlich wieder in Frage. „Zu teuer“, heißt es aus der Bezirksverwaltung. Günstiger sei ein Objekt am Moritzplatz – obwohl dies vom Berliner Liegenschaftsfonds angemietet werden müsste. Doch „zu teuer“ ist das Seminargebäude nicht wegen zu hoher Bewirtschaftungskosten. Vielmehr geht der Bezirk bei seinen Kostenberechnungen von einem politisch gesetzten Buchwert aus – und der ist in der Praxis bis zu zehnmal höher als der Verkehrswert. Ein Zahlenspiel mit haarsträubenden Folgen.

Den Buchwert errechnen die Bezirke aus dem Wert, den eine Feuerversicherung zahlen müsste, um das Gebäude nach einem Totalschaden zu ersetzen. Dies ist jedoch deutlich mehr als dessen Verkehrswert, also dem Preis, den das Gebäude bei einem Verkauf bringen würde. Aus dem – erhöhten – Buchwert berechnen die Bezirke jedoch auch die so genannten kalkulatorischen Kosten. So werden die Rücklagen für die Modernisierung des Gebäudes bezeichnet. Diese fließen in die Bilanz ein und erhöhen letztlich die Kosten für den Unterhalt eines Gebäudes – und das teilweise dramatisch. Private Investoren gehen hingegen vom Verkehrswert aus; deswegen ist deren Kalkulation meist erheblich günstiger.

Grundsätzlich betrifft dieses Problem alle öffentlichen Gebäude im Besitz der Bezirke: Schulen in Charlottenburg und Bibliotheken in Tegel genauso wie das Kulturzentrum Bagatelle in Frohnau und das Freizeit-Forum Marzahn. Einen leer stehender Schulkomplex in der Kastanienallee 82 verkaufte der Bezirk Pankow an einen privaten Investor, statt das Gelände als Stadtteilpark und soziales Zentrum an eine Anwohnerinitiative zu verpachten. Ein Verbleib der Gebäude im Besitz des Bezirks wäre für diesen „unbezahlbar“ gewesen.

„Stück aus Absurdistan“

„Es ist inzwischen wirtschaftlicher für den Bezirk, ein fremdes Gebäude anzumieten als ein eigenes zu nutzen“, empört sich Franz Schulz (Grüne), der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. Er bezeichnet die zugrunde liegenden haushaltsrechtlichen Zwänge als „ein Stück aus Absurdistan“. Eine Auswirkungen dieser Haushaltspolitik ist, dass rund 3.000 Immobilien im Besitz der Bezirke, die keinem Fachvermögen zugeordnet wurden, diesen Sommer an den Liegenschaftsfonds zum Verkauf übertragen werden.

Besonders auffallend ist diese Diskrepanz zwischen Buchwert und Verkehrswert jedoch im Fall des Kreuzberger Bethaniens. Letzterer betrage 2,89 Millionen Euro, sagt die Betriebswirtin Simone Kypke, die in der Bürgerinitiative gegen die Privatisierung des Bethanien aktiv ist. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat diesen Betrag Ende 2004 in einem Gutachten für das Hauptgebäude des Bethanien ermittelt.

Andererseits spricht das Bezirksamt in den Verhandlungen mit der Bürgerinitiative von einem Buchwert von rund 32 Millionen Euro für das gleiche Gebäude. „Ein Unterschied von eins zu zehn“, betont Kypke. Sie verweist darauf, dass Buchwert und Verkehrswert eigentlich höchstens um etwa zehn Prozent voneinander abweichen dürfen. „In einem normalen Betrieb wäre dies ganz klar Bilanzbetrug“, sagt Kypke.

Und: Diese Zahlen kamen erst auf den Tisch, als der Bezirk auf den Unterschriftenbögen für das Bürgerbegehren gegen den Verkauf des Bethanien eine eigene Kostenschätzung abgeben musste. Das Bezirksamt spricht darin von 1,5 Millionen Euro jährlichen Kosten für den Betrieb des Bethanien. Jeder marktwirtschaftlich organisierte Betreiber könnte die gleiche Leistung für knapp 700.000 Euro erbringen. Dennoch sind die Zahlen des Bezirksamts nicht gelogen: Aufgrund der kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen entstehen 815.000 Euro zusätzliche Kosten für den Bezirkshaushalt.

„Würde das Bethanien mit seinem wirklichen Verkehrswert von knapp 3 Millionen Euro im Haushalt stehen, reduzierten sich diese kalkulatorischen Kosten auf ein Zehntel“, sagt der ebenfalls in der Anwohnerinitiative aktive Volkswirt Daniel Zöllinger. „In diesem Fall könnte der Bezirk das Gebäude problemlos in das Fachvermögen Kultur überführen und somit der Bevölkerung des Bezirks erhalten.“

Wilde Zahlenspielereien

Laut Baustadtrat Franz Schulz trägt Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) die Schuld an diesen, für die Bezirke bedrohlichen Zahlenspielereien. In den vergangenen Jahren setzte Sarrazin die Kosten- und Leistungsrechnung bei der Immobilienbewirtschaftung in den Bezirken durch (siehe Text rechts). Den Finanzsenator interessiere vor allem, „wie viel Quadratmeter des Produkts Schule zu welchen Kosten pro Kind ein Bezirk verbraucht“.

Gegen den Widerstand der Bezirke entschied Sarrazin, bei der Festsetzung der durchschnittlichen Kosten für ein Gebäude nicht nur die so genannten budgetwirksamen Kosten zu berücksichtigen, also „die Betriebskosten inklusive Heizung plus Personalkosten“, erklärt Schulz. Bereits dies führe zu Ungerechtigkeiten, weil ein Altbau mit seinen Raumhöhen nicht mit einem Plattenbau zu vergleichen sei.

Doch das wirkliche Problem sind laut Schulz die so genannten budgetunwirksamen Kosten, also die erwähnten kalkulatorischen Kosten für Zinsen und Abschreibung. Eigentlich seien kalkulatorische Abschreibungen dafür da, Rücklagen für eine Modernisierung des Gebäudes zu bilden. Das Land Berlin lege aber real kein Geld dafür zurück. „Den kalkulatorischen Zinsen liegt die Philosophie zugrunde, durch das Gebäude und das Grundstück sei letztlich Geld gebunden, das man auch bei einer Bank anlegen und dafür Zinsen erhalten kann“, so Schulz weiter. Diesen fiktiven Geldverlust stelle man durch kalkulatorische Zinsen dar. Baustadtrat Schulz fordert nun, die budgetunwirksamen Kosten beim Kostenvergleich der Bezirksimmobilien nicht mehr zu berücksichtigen.

„Angesichts dieser offensichtlich fehlerhaften Immobilienbewertung muss die Übertragung der Gebäude an den Liegenschaftsfonds überprüft und revidiert werden“, meint auch Simone Kypke von der Initiative Zukunft Bethanien. „Man kann eine Schule oder das Bethanien nur einmal verkaufen, und dann ist das Gebäude für immer dem öffentlichen Leben entzogen.“