Drei Paragrafen Unschuld

SÜNDENBOCK Die CSU fordert auf ihrer Klausur in Kreuth ein strengeres Prostitutionsgesetz. Denn das bestehende Recht habe den Menschenhandel begünstigt. Dabei hat beides nichts miteinander zu tun

Vielen Opfern droht nach einer Aussage die Abschiebung – deshalb kommen die Zuhälter meist ungeschoren davon

VON LISA SCHNELL

Deutschland ist das Bordell Europas. Das scheint mittlerweile schon zur Binsenweisheit geworden zu sein. Da sind sich CSU-Hardliner wie Hans-Peter Uhl und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer einig. Zusammen wettern sie gegen die Reform des Prostitutionsgesetzes unter Rot-Grün, das Ende 2001 beschlossen wurde. Gerade steht es wieder am Pranger: Bei ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth verabschiedet die CSU einen Gesetzentwurf, der behauptet, das liberale Prostitutionsgesetz habe „zu einer Blüte der organisierten Kriminalität geführt“. Die Polizei müsste tatenlos zusehen, wie vor ihren Augen der „Mensch zum Objekt degradiert und als Ware feilgeboten wird“.

Doch wer mit dem Finger auf die Reform des Prostitutionsgesetzes zeigt, der beschuldigt den Falschen. Das Reförmchen von 2001 besteht aus gerade mal drei Paragrafen, die nicht mehr als acht Zeilen umfassen. Es hat die Sittenwidrigkeit abgeschafft und die Rechte von freiwillig arbeitenden Prostituierten gegenüber ihren Arbeitgebern gestärkt. Sie können nun in die Sozialversicherung und ihren Lohn einklagen. Das war’s. Es hat weder Zuhälterei noch Menschenhandel legitimiert. Die sind immer noch verboten und also strafbar.

Ob liberales Gesetz oder nicht, das scheint mit den Opfern von Menschenhandel nichts zu tun zu haben. Laut einem Bericht der Europäischen Kommission gibt es in Deutschland genauso viele Opfer von Menschenhandel pro 100.000 Einwohner wie in Schweden, wo Freier bestraft werden. Das Bundeskriminalamt hat seit der Reform des Prostitutionsgesetzes sogar weniger Opfer gezählt als zuvor. 2001, vor der Liberalisierung, gab es 987, im Jahr 2012 waren es nur 612.

Natürlich liegt die Dunkelziffer sehr viel höher. Dass viele Zuhälter ungeschoren davonkommen, liegt daran, dass es den Opfern vom Gesetzgeber nicht gerade schmackhaft gemacht wird, auszusagen. Vielen droht nach einer Aussage sogar die Abschiebung. Diese Unverschämtheit steht aber nicht im Prostitutionsgesetz, sondern im Opferschutzgesetz.

Auch der Vorwurf, dass Rot-Grün mit ihrer Reform die Polizei vom Milieu abgeschirmt hätte, läuft ins Leere. Die Polizei kann so viel kontrollieren, wie sie will, wenn die Länder Prostitution als „sozial unwerte Tätigkeit“ definieren. Selbst CSU-Rechtsexperte Uhl, der in seinem Gesetzentwurf noch von „fehlenden Kontrollbefugnissen“ spricht, sagt, dass jederzeit unangekündigte Kontrollen möglich sind. Polizei und Landeskriminalbeamte gaben in einer Umfrage an, dass sie seit 2002 keine „relevante Änderung ihrer polizeilichen Praxis“ feststellen. Sie ergab auch, dass der Kampf gegen Zwangsprostitution nur erfolgreich sein kann, wenn das Vertrauen der Opfer gewonnen wird. Ein Polizist in Uniform und mit Schlagstock ist dazu wohl eher nicht geeignet.

Um für bessere Arbeits- und Hygienebedingungen in Bordellen zu sorgen, braucht es kein härteres Prostitutionsgesetz. Man müsste Bordelle einfach nur als Gewerbe definieren. Dann könnte auch ein Führungszeugnis für die Besitzer zur Voraussetzung gemacht werden. Das hatte Rot-Grün 2001 auch vor. Dass sie es nicht umsetzen konnten, ist den Gegnern eines liberalen Gesetzes zu verdanken. Hätte der Bund 2001 Bordelle als Gewerbe definiert, wäre die Reform des Prostitutionsgesetzes zustimmungspflichtig gewesen und damit wahrscheinlich an der schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat gescheitert. Die einzige Kontrolllücke hat sich die CSU also selbst zuzuschreiben.