Die Werkbank Europas

TUNESIEN Drei Jahre nach der Revolution und dem Umbruch bleiben deutsche Unternehmen dem Mutterland des Arabischen Frühlings treu. Andere wandern ab

Jeder dritte Büstenhalter, jede dritte Jeans, jeder zweite Badeanzug sind aus Tunesien

AUS BIZERTE EDITH KRESTA

Mitten in der nordtunesischen Hafenstadt Bizerte nähen Frauen, Hemden, Krawatten, Blusen für das Textilunternehmen „van Laack“. In einer hellen Halle mit Blick aufs Meer. Die Kleidungsstücke hängen später in Showrooms in München oder an der Madison Avenue in New York. Die Marke van Laack mit Stammsitz in Mönchengladbach setzt auf die „Standortvorteile“ des nordafrikanischen Landes – wie Calvin Klein, Lacoste oder Yves Saint Laurent oder 250 andere, meist mittelständische deutsche Unternehmen.

Jeder dritte Büstenhalter, jede dritte Jeans, jeder zweite Badeanzug kommen nach Angaben von Eurostat aus Tunesien. Das Land gilt als verlängerte Werkbank Europas. Um nicht der Konkurrenz aus China und Indien ausgesetzt zu sein, setzt die tunesische Textilindustrie auf Qualität, Design und Marketing.

Deutschland ist nach Frankreich und Italien der drittgrößte Handelspartner Tunesiens, die deutschen Unternehmen ein wichtiger Pfeiler für die gebeutelte Wirtschaft des Landes. Politische Instabilität, Streiks, Herabstufungen durch internationale Ratingagenturen und eine noch immer fehlende Verfassung verunsichern Investoren. Über 150 ausländische Unternehmen schlossen binnen zwei Jahren ihre Niederlassungen, mehr als 5.000 Arbeitsplätze gingen so seit dem Sturz des Regimes von Ben Ali 2011 im Ursprungsland des sogenannten Arabischen Frühlings verloren. Zwischen Januar und August 2013 verließen 15 ausländische Unternehmen Tunesien, vor allem Firmen mit französischer und italienischer Beteiligung. Das Vertrauen ist erschüttert, besonders nach den Morden an den Oppositionspolitikern Chokri Belaid im Februar und Mohammed Brahmi im Juli.

Die Deutschen blieben. Ihnen sei „kein einziges deutsches Unternehmen bekannt, das Tunesien seit der Revolution vor zwei Jahren aufgrund der politischen Entwicklungen verlassen habe“, sagt Beatrice Ghorbal, Sprecherin der Außenhandelskammer Tunis. Im Gegenteil: Die Unternehmen hätten expandiert. „Bei den deutschen Unternehmen in Tunesien gibt es bisher keinerlei Auswirkungen der aktuellen Krise auf die Geschäftstätigkeit“, sagt Ghorbal.

Warum das so ist, erklärt Van-Laack-Geschäftsführer Ferdinand Terburg: „Die Steuervorteile und vor allem die Nähe zu Europa machen Tunesien für viele Unternehmen zu einem idealen Standort. Und trotz Revolution und gesellschaftlichem Umbruch gab es bei uns nicht einen Tag Streik.“

Dabei zahlt van Laack den Beschäftigten, zu 90 Prozent Arbeiterinnen, nicht viel mehr als den Mindestlohn. Der beträgt in Tunesien ungefähr 140 Euro, bei van Laack gebe es den Tariflohn für Textilarbeiter, 180 Euro, sagt Terburg. Viele Frauen arbeiten lieber in den Fabriken, weil sie als Haushaltshilfe privater Willkür ausgesetzt wären. „Das ist sicherer, geregelter und unabhängiger“, bestätigt die Textilarbeiterin Samira Madhaoui.

Allerdings ist das Lohnniveau in Tunesien niedriger als in Osteuropa. Das tunesische Förderungsamt für ausländische Investitionen sieht das als Vorteil. Neben den „sehr wettbewerbsfähigen Lohnkosten“ lobt es die Löhne von Ingenieuren, höheren Technikern und Arbeitern, die „sehr wettbewerbsfähig“ seien. Dazu kämen eine relativ stabiler Wechselkurs und eine geringe Inflationsrate.

In Deutschland interessieren noch andere Möglichkeiten des Standorts Tunesien: als Energielieferant in ambitionierten Projekten wie Desertec, als Plattform für neue Technologien und als Trittbrett für den afrikanischen Kontinent.

Der tunesische Wirtschaftswissenschaftler Cheikhalifa Mohammed ist davon nicht nur begeistert: „Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Tunesien wird heute als Unterstützung des demokratischen Transformationsprozesses verkauft. Dabei haben die Europäer, auch die Deutschen, schon mit dem gestürzten Regime bestens zusammengearbeitet, wenn es um ihre Interessen ging.“ Wenn Tunesien nun zum Lieferanten alternativer Energie für Europa werde, bleibe offen, wie die ökologischen Probleme des Landes, vom Wassermangel bis zur Ausdehnung der Wüste, gelöst werden könnten. Nur billigen Strom und billige Arbeitskräfte abzuschöpfen sei kein Fortschritt.