„Wir sind ein abgebrühtes Land“

In Italien zählt nur das Resultat, sagt Oliviero Beha, Journalist und Experte für Korruption im italienischen Fußball

taz: Herr Beha, warum spielt Italien bei der WM so schlecht?

Oliviero Beha: Auf der Mannschaft lastet einfach ein unglaublicher Druck, und damit meine ich nicht nur den Skandal. Unser Fußball ist einfach krank, er ist total mit Erwartungen überfrachtet. Es ist doch bezeichnend, dass Trainer Lippi sich aufführt, als wäre er der Ministerpräsident. Und das sind Erwartungen von Seiten eines kranken Landes.

Welche Krankheit wäre das?

Unser Land hat sich doch selbst in ein gigantisches Fußballfeld verwandelt, ebendies sagt uns der Mega-Skandal, der keineswegs bloß den Fußball betrifft. Wir haben die Bürger, die „Fans“, die die Politik so behandeln, als ginge es da um Fußball, und den Fußball, als stünden sich da politische Lager gegenüber. Und in jedem Sektor der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik regiert das Prinzip Moggi (Luciano Moggi ist der wegen Korruption angeklagte Manager von Juventus Turin, d. Red.).

Und welche Folgen hat das für die Spielweise Italiens?

Es gibt da einen Ausdruck, den man heute oft hört: wir hätten eine „abgebrühte Mannschaft“. Viel richtiger wäre es zu sagen: wir sind ein abgebrühtes Land. Wie im Fußball zählt bei uns in Italien auch sonst bloß das Resultat, nicht die Leistung, nicht die Verdienste, die einer hat, und keiner fragt mehr, wie einer zu seinen Erfolgen gekommen ist.

Wenn Italien diese WM nun doch gewinnt – heißt das: Schwamm drüber über den Skandal?

Wir haben einen historischen Präzedenzfall. 1982 siegte Italien – und der große Wettskandal von 1980 war vergessen. Ich habe damals in diversen Artikeln Beweise dafür gebracht, dass Italien den WM-Titel gekauft hatte. Das wäre die absolute Ironie: Wenn Italiens Fußball auch jetzt wieder mit einem Akt der Korruption seine Korruptionsprobleme aus der Welt schaffen würde.

INTERVIEW: MICHAEL BRAUN