90 Minuten mit … Horst Köhler

„Onkel Köhler“ nennen die Kids den Präsidenten, der Autogramme schreibt und auch eine Wurst isst

Er lächelt gut gelaunt, posiert für Fotos, erfüllt jeden Autogrammwunsch und ist ganz der freundliche Onkel. Horst Köhler, unser Bundespräsident, Bewohner des Schlosses Bellevue, hat hundert Kinder und Jugendliche des Landessportbundes zum Fußballgucken in den Präsidentengarten eingeladen. Die Mädchenmannschaft des VfB Hermsdorf ist in kompletten Trikots gekommen, der SC Borsigwalde ist da und das Fernsehen auch. Es gibt Bratwürstchen, Salate und Bionade. Auf einer Leinwand kündigt Günter Netzer den italienischen Sieg an.

Köhler nimmt nach der kurzen offiziellen Begrüßung an einem Tisch Platz. Beim Gruppenfoto lächelt er gekonnt in die Kameras, doch dann scheint sich die Unbekümmertheit der Kinder auch auf ihn zu übertragen. Er tätschelt Köpfe, versucht sich in Gesprächen über Fußball. Die Kinder wollen aber lieber Autogramme. Als die Hymne ertönt, unterbricht Köhler das Gedränge um seinen Tisch, faltet die Hände und erhebt sich. Für kurze Zeit ist er der Staatsmann. Dann aber wieder „Onkel Köhler“, wie ihn einige hemmungslose Kinder rufen.

Wer heute das Spiel gewinnen werde, wird er gefragt. „Ooh, ich weiß nicht, der Bessere soll gewinnen. Aber ich glaube, Italien macht’s“, ist seine diplomatische Antwort. Und wer wird Weltmeister? „Ich glaube, Deutschland!“ Was soll er auch sonst sagen, aber dann fügt er etwas zurückhaltender hinzu: „Zumindest hat die Mannschaft bewiesen, dass sie fähig dazu ist.“

Das Spiel läuft schon einige Minuten, aber Onkel Köhler hat noch nicht alle Autogrammwünsche erfüllt. Irgendwann wird es ihm zu viel: „So, jetzt lasst mich mal hinsetzen. Ich will mal ’ne Wurscht essen.“ Kurz bleibt Horst Köhler unbehelligt, konzentriert sich auf sein Essen und erstmals auf das Spiel. Die Kinder nutzen den weitläufigen Garten, trollen auf dem Rasen und bereiten sich auf die nächste Turnstunde vor.

Halbzeit. Köhler schreibt wieder Autogramme. Die Kinder sind begeistert von ihm. „Der ist total natürlich und freundlich“, sagt ein Mädchen vom VfB Hermsdorf. Zwischendurch muss Köhler dem Fernsehen Auskunft über die Zukunft Deutschlands nach der WM geben. Auch das erledigt er lächelnd. Er betont das neue Selbstvertrauen der Deutschen und das gute Gefühl, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Weder sportlich noch politisch. Die vielen Fahnen und die Euphorie im Land finde er toll und er glaube auch daran, dass davon etwas hängen bleibt. Etwas, das auch die „großen Geschäfte“ beeinflussen könne.

Zwischendurch bekommt Italien eine Rote Karte. Köhler reckt kurz seinen Kopf zur Leinwand, wendet sich aber prompt wieder seinen Gästen zu. Beim Elfmeter schüttelt er den Kopf, winkt ab. War keiner, sollte das wohl heißen. Totti verwandelt, Köhler lächelt – und freut sich mit den jubelnden Kindern. BASTIAN HENRICHS