Neue Einheit im Widerstand

Auch die palästinensische Hamas findet sich jetzt mit Israel ab – das kurz vor einem Einmarsch in den Gaza-Streifen steht

„Wir lassen uns nicht zum Opfer von Hamas-Erpressungen machen“, sagt Israels Premier Olmert kämpferisch

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Nach langem Widerstand hat die Palästinenserbewegung Hamas Israel de facto anerkannt – und sich zugleich mit der innerpalästinensischen Konkurrenz von Fatah auf die Gründung einer Nationalen Einheitsregierung einig. „Sollte es keine Überraschungen geben, wird noch heute Nacht unterschrieben“, sagte ein Verhandlungsdelegierter.

Die Ausgangsbasis für die Einigung war das Kompromisspapier palästinensischer Inhaftierter aller Fraktionen, die eine Gründung Palästinas in den Grenzen von 1967 vorschlagen – was die Anerkennung Israels impliziert. Premierminister Ismail Hanijeh und Palästinenserpräsident Machmud Abbas hatten bei den Verhandlungen miteinander bis zum Schluss über die Frage des Gewaltverzichts, die Zusammensetzung des Kabinetts und die Bedingungen zur Aufnahme der Hamas in die PLO debattiert.

Die vielleicht historische Einigung der palästinensischen Fraktionen fiel zugleich mit dem Höhepunkt einer dramatischen Geiselaffäre zusammen: Seit Sonntagfrüh befindet sich der israelische Gefreite Gilad Shavit in der Gewalt von Anhängern der Hamas. Das Kommando zu der Geiselnahme kam offenbar von der Hamas-Führung im syrischen Exil, allen voran Hamas-Chef Khaled Mashal. Das ist bezeichnend: Während die Hamas-Regierung in den Palästinensergebieten zunehmend pragmatischer wird, hält der Hardliner Mashal am Kampf um „ganz Palästina“, inklusive Israels, fest.

Auch die öffentliche Meinung ist jetzt hin und her gerissen. Ungeachtet der drohenden Großoffensive der israelischen Armee im Gaza-Streifen solidarisierte sich die deutliche Mehrheit der Palästinenser mit den Entführern des israelischen Gefreiten. Zigtausende Demonstranten appellierten an die Geiselnehmer, Gilad Shavit nicht freizugeben, ohne im Gegenzug palästinensische Häftlinge aus den Gefängnissen zu holen. Gleichzeitig aber befürwortet eine klare Mehrheit der Palästinenser das Kompromisspapier der Gefangenen und die Gründung einer Nationalen Einheitsregierung. Und: Sobald die Hamas sich wirklich zur Abkehr von der Gewalt und der Anerkennung Israels bekennt, wäre der Weg für die westliche Aufbauhilfe wieder frei.

Doch zunächst geht es noch um die Gefangenen. Die Hamas-Gruppe, die behauptet, Shalit in den Händen zu halten, forderte die Entlassung aller weiblichen und aller minderjährigen Palästinenser in israelischer Haft. Das lehnt Israel ab. Derzeit befinden sich insgesamt 109 Palästinenserinnen hinter israelischen Gittern. Hinzu kommen gut 300 Minderjährige. Knapp einem Drittel der Jugendlichen wird (versuchter) Mord vorgeworfen.

Außerdem: Israels Premierminister Ehud Olmert lehnt Verhandlungen mit den Entführern ab. „Wir lassen uns nicht zum Opfer von Hamas-Erpressungen machen“, sagte er. Der Premier warnte, dass „die Zeit bis zu einer Angriffsoperation abläuft“. Die Lage verschärft sich dadurch, dass derzeit zwei Infanterie-Regimenter und Panzerbataillone am Gaza-Streifen bereitstehen, um die israelische Geisel mit Gewalt zu befreien. Solange die Nachrichtendienste jedoch keine ausreichenden Informationen über den genauen Aufenthalt des Entführten liefern können, ist allerdings kaum mit einem Angriff zu rechnen. Israelischen Informationen zufolge wird Shalit im südlichen Gaza-Streifen festgehalten und ist nur leicht an Schulter und Bauch verletzt. Israel drohte unterdessen, die Wasser- und Stromzufuhr zum Gaza-Streifen zu unterbrechen.

Und nicht nur Israel macht Druck: Seit Sonntag ist der Gaza-Streifen komplett abgeriegelt – auch die Ägypter postierten rund 2.000 Grenzpolizisten, um zu verhindern, dass die israelische Geisel aus dem Gaza-Streifen herausgeschmuggelt wird. Jenseits der Grenzanlagen bereiten sich die palästinensischen Guerilla-Truppen auf den israelischen Angriff vor und schleppen tonnenweise Sand und Steine auf die Straßen, als Sperre gegen Panzer. Ein Flugblatt der Fatah-nahen Al-Aqsa-Brigaden warnt Israel vor den angeblich selbst entwickelten „20 Sorten biologischer und chemischer Kampfstoffe“ – bereit, die israelische Armee „in Empfang zu nehmen“.

Seit Montagabend wird zudem ein 18-jähriger jüdischer Siedler vermisst. Möglich ist, dass auch er entführt wurde, wie es ein palästinensisches „Volkswiderstandskomitee“ behauptet. Auf den Straßen von Nablus feierten zahlreiche bewaffnete Hamas-Anhänger die Entführung des jungen Siedlers.