Die Schnittwunde

Während der Pause des Liga-Fußballs widmen wir uns in dieser Kolumne dem weiten Feld der Sportverletzungen. Die Älteren von uns erinnern sich noch an die Verletzung, die sich Ewald Lienen, 27, heute Trainer von 1860 München, am 14. August 1981, beim Spiel Werder Bremen gegen Arminia Bielefeld zuzog. Als Norbert Siegmann, 28, mit Lienen fertig war, klaffte in dessen Oberschenkel eine 25 Zentimeter lange Wunde. Wenn Stollen scharf wie Messer sind, kann das passieren. Für den medizinisch interessierten Laien lehrreich: Der Muskel war zu sehen, wie im anatomischen Lexikon. Gut, dass es das Privatfernsehen noch nicht gab. Lienen rannte, mit wundervoll langem Haar und revolutionärem Schnurrbart, seinen aufgeschlitzten Schenkel haltend, traumatisiert über den Platz. Nach dem Spiel warf er Bremens Trainer Otto Rehhagel vor, Siegmann zum Foul aufgefordert zu haben. Siegmann – in der Bundesliga aktiv für Clubs wie den VfB Stuttgart, Tennis Borussia Berlin, und in der damals noch zweitklassigen Regionalliga für Tasmania Berlin, am Ende seiner Karriere bei Fortuna Köln – leugnete dies. Hat in 209 Bundesligaspielen nie eine Rote Karte bekommen. Heute trainiert er, 57 Jahre alt, den SV Weser 08 Bremen. Er beendete seine Karriere 1986 und machte eine Weltreise, bei der er das Yoga-Zentrum Rishikesh, am Fuße des Himalaya in Nordindien besuchte. Siegmann wurde Buddhist. Lienen wiederum wurde damals mit 23 Stichen genäht, begann nach 17 Tagen wieder zu trainieren und spielte, bis er 38 war, weil er sein Geld bei Bauherrenmodellen verloren hatte.  ROR