Über unseren Schultern

Der Wiener Konzeptkünstler Peter Weibel schafft es, den Betrachter in die Kunst zu verstricken, anstatt ihn mit Theorie zu zu ballern. Zu sehen ist das in der Ausstellung „Das offene Werk“ in der Kulturstiftung Phoenix Art

„Die Orte des Reichtums sind so zahlreich, wie die Möglichkeiten, sich diesen Reichtum zu nehmen“ – so stand es auf dem Zettel, den die „prekären Superhelden“ am Vortag des 1.Mai im Hamburger Frischeparadies Goedeken der Kassiererin in die Hand drückten, um gleich darauf mit Champagner und Kaviar spurlos zu verschwinden. Einen Feiertag in den Dienst des Anarchismus einzuspannen – konsequenter hat das bislang nur der Künstler Peter Weibel getan. Allerdings nicht mit der direkten Tat, sondern im Rahmen der Concept Art, an der Schnittstelle von Wirklichkeit und Kunst. „Handlungsanweisung“ lautete der Titel des Werkes, das nicht mehr ist als ein beschriebenes Blatt Papier an der Wand: „The 24th december is from now on declared as the national money day where every man has free access to everyone‘s bank account.“

Kunst, die nicht mehr über das Auge, sondern sprachlich funktioniert, die nicht mehr technisches Geschick der Ausführung verlangt, sondern bloß ein tragfähiges Konzept, gilt als sperrig: Zum Verständnis müsse man ihren theoretischen Hintergrund kennen, so die Bedenken. Wie kurzweilig diese Kunst dennoch sein kann, zeigt jetzt die, dem Wiener Künstler und Medientheoretiker Peter Weibel gewidmete, Schau „Das offene Werk, 1964–1979“ in der Kulturstiftung Phoenix Art / Sammlung Falckenberg.

Neben der Konzeptkunst wendet sich Weibel der Medienkunst zu. Beispielsweise im Werk „The endless sandwich“: Wir blicken auf einen Fernseher und sehen von hinten einen Mann, der Fernseh schaut. Auf seinem Bildschirm sieht er selbst einen Mann, der Fernseh schaut und der sieht einen Mann, der Fernseh schaut und so fort. Das Ergebnis ist eine Reihe von kleiner werdenden Männern, die auf immer kleiner werdende Monitore blicken. Irgendwann beginnt der hinterste Bildschirm zu flackern, der darauf starrende Mann wird unruhig, das Bild flackert stärker, der Mann erregt sich, steht auf und schaltet den Fernseher ab. Genau in diesem Moment fängt das Bild des Mannes, der den Fernseher abschaltet, seinerseits zu flackern an. Der nächste Zuschauer steht auf und schaltet den Fernseher ab. Auf diese Weise springt das Flackern weiter, bis es schließlich den ersten Monitor erreicht. Unwillkürlich dreht sich der Betrachter um: Wo ist der Voyeur, der davon lebt, uns über die Schulter zu schauen? Auf dem Bildschirm erscheint unterdessen der Satz: „Hier wird ein Vorgang repetiert und reproduziert, bis er sich in einem realen Vorgang redupliziert.“ Ein Beispiel aus der Wirklichkeit wären dafür die Katastrophenbilder des 11. September: Sie kamen uns erschreckend bekannt vor – aus zahllosen Hollywood-Produktionen.

Immer schafft es Weibels Kunst, den Betrachter zu verstricken: Insofern bleibt er seinen Anfängen im „Wiener Aktionismus“ treu. Dessen Motto war, schockartig die Kunst mit Happenings ins Leben zu überführen und sich damit gegen gesellschaftliche Konventionen zu stellen. Für den Sammler Harald Falckenberg liegt hier der Grundimpuls von Weibels Werk: „Auch wenn es später keine direkte Aktion mehr gibt – die Kritik bleibt erhalten.“

Maximilian Probst

bis 3. September in der Kulturstiftung Phoenix Art in Hamburg-Harburg. Besuche der Weibel-Ausstellung und der Falckenberg-Sammlung nur nach telefonischer Anmeldung unter ☎ 040/32 50 67 62