„Das rein Persönliche reicht nicht“

Die Phoenixhallen in Harburg beherbergen eine der größten Sammlungen zeitgenössischer Kunst in Deutschland. Zusammengetragen hat sie Harald Falckenberg, der feststellt, dass die Sammlung im temporeichen Kunstbetrieb mittlerweile einen musealen Charakter angenommen hat

Von MAXIMILIAN PROBST

Eine lebensgroße Figur aus „Planet der Affen“, die Hosen heruntergelassen, die linke Hand am ejakulierenden Glied, die rechte geballt dem Betrachter entgegengeschleudert mit gestrecktem Mittelfinger und im Gesicht ein breites, verächtliches Grinsen – das ist das Herzstück der Sammlung Falckenberg. Das Werk des norwegischen Künstlers Bjarne Melgaard verdichtet sinnbildlich, was auf 6.000 qm Lagerfläche und 2.500 qm Wechselausstellungsfläche rundum zu sehen ist: „Kunst, die sich gegen das Erhabene, Wertvolle und Bedeutende wehrt“, sagt Kunstsammler Harald Falckenberg, „die sich der Entwertung von Werten widmet. Popanz-Depotenzierung.“

Das Wort stammt von Werner Büttner, aus der Gruppe der „Jungen Wilden“. Jung und wild ist Falckenberg, Jahrgang 1943, natürlich nicht. Aber gewitzt und provokant. Falckenberg spricht vom Glück, „mit Büttner eine Zeit lang unter einem Dach gewohnt zu haben“. Büttner habe ihm Arbeiten von Kippenberger, Oehlen und Herold überlassen, als von denen noch kaum die Rede gewesen sei. „Das war der Grundstock meiner Sammlung. Danach habe ich Künstler gesammelt, die einen ähnlichen Ansatz hatten. Die Amerikaner Paul McCarthy, John Baldessart, Richard Prince und Mike Kelly. Ich habe diese Richtung nach hinten verfolgt: Vito Acconci, die Wiener Aktionisten, Fluxus. Und dann habe ich angefangen, junge Kunst zu sammeln, die sich auf diese Positionen beruft oder Referenzen dazu aufweist: Jason Rhodes, Jonathan Meese, John Bock und Bjarne Melgaard.“

Herausgekommen ist eine der größten und faszinierendsten Sammlungen moderner Kunst in Deutschland. Und zwar in kürzester Zeit. Erst 1994, im Alter von 50 Jahren, entschloss sich Falckenberg zum Aufbau der Sammlung. Davor hatte er als promovierter Jurist jahrelang an der Universität gearbeitet und später die Geschäfte eines mittelständischen Betriebs übernommen, den er noch heute führt.

Um mit der Kunstwelt in Kontakt zu kommen, ist er zunächst als Schatzmeister in den Hamburger Kunstverein gegangen. Vier, fünf Jahre habe es dann noch gedauert, sich einen guten Überblick über die internationale Kunstszene zu verschaffen. Statt auf Berater zu setzten, suchte er das Gespräch mit Künstlern, Kuratoren und Galeristen. Und vertraute am Ende seinem eigenen Urteil.

Zwei Kriterien seien dabei entscheidend, sagt Falckenberg: „Findet der Künstler einen Weg, der über sich selbst hinaus in die Kunst führt? Viele Künstler beschäftigen sich nur mit sich selbst. Das rein Persönliche reicht nicht. Kunst ist am Ende eine Verhandlungssache und über Persönliches lässt sich nicht verhandeln.“ Das zweite ist: „Zu welchen anderen Künstlern bestehen Referenzen, d.h. wie lässt sich diese Kunst einordnen. Lässt sich eine Arbeit überhaupt nicht einordnen, müssen die Alarmglocken schrillen. Denn Kunst entsteht immer durch Kunst.“

Mittlerweile sammelt Falckenberg nicht nur mit viel Sachverstand Kunst, sondern schreibt auch über diese Kunst. „Das ist eine gute Art, Rechenschaft abzulegen über die eigene Tätigkeit.“ Und vielleicht auch ein würdiger Ersatz, wenn es mit dem Sammeln nicht mehr weitergeht. Denn bei den explodierenden Preisen des Kunstmarktes wird das immer schwieriger. „Als engagierter Sammler zieht man in solchen Zeiten den Kopf ein. Zwar gibt es Sammler, für die eine Hausse hocherfreulich ist: Sie können Gewinne mitnehmen oder zeigen, was für wunderbar teure Werke sie besitzen. Wem es aber um die Auseinandersetzung mit Kunst geht, unter historischen, philosophischen oder soziologischen Gesichtspunkten, für den ist diese Zeit eine Qual. Viele Positionen kann er aus finanziellen Gründen nicht mehr weitersammeln und so bekommt die Sammlung plötzlich einen musealen Zuschnitt. Der Umgang mit Kunst ist dann nicht mehr kreativ. Er ist administrativ.“

Nicht nur die Preise haben sich vervielfältigt, sondern auch die Kunst. „Junge Kunst formiert sich in einem Tempo, das nicht mehr rational von der Kunst her nachvollziehbar, sondern nur unter Marktgesichtspunkten begreifbar ist.“ Auch wer sich redlich bemühe, durch Kunstvereine und Messen renne, Zeitschriften und Bücher lese, kenne nur noch jeden zweiten Namen. Vor acht Jahren habe man noch fast alle Namen gekannt.

Damit zeichnet sich der historische Rahmen für die von Falckenberg propagierte Kunst ab. „Die Künstler, die ich vorhin aufgezählt habe, sind ja alle schon Klassiker geworden.“ Aber nicht nur diese Lage, auch das eigene Alter lässt Falckenberg an die Zukunft der Sammlung denken.

Unterbringen in bestehenden Museen lässt sie sich aufgrund ihrer Größe kaum. Möglich wäre es, sie aufzuteilen. Verschiedene Museen bekämen dann verschiedene Abschnitte, die für sie sinnvoll wären. Schon jetzt hat Falckenberg mehrere Arbeiten verschenkt oder als Dauerleihgabe vergeben. Seine Idealvorstellung sieht aber etwas anders aus: Die Sammlung soll in eine Stiftung mit einem Workshop für junge Künstler umgewandelt werden. Neben dem Eigentum an den Räumen (der Mietvertrag mit Phoenix läuft 2011 aus), bräuchte man ein Stiftungskapital, um das Unternehmen unabhängig von staatlichen Zuschüssen zu machen. Teile der Sammlung müsste man dafür verkaufen. Stiftung und Workshop würden dann der Kunsthalle unterstellt. Nicht nur für Falckenberg – auch für die Kunst in Hamburg wäre das die schönste Lösung.