„Die haut ihr weg, kein Problem“

PRIVATE VIEWING Der nigerianische Schriftsteller Tolu Ogunlesi über Fußballnationalismus, das Scheitern seines Heimatlandes bei der WM und das unfreundlich-provinzielle Berlin

■ wurde 1982 in der Nähe von Lagos geboren. Er arbeitet als Journalist und Fotograf für die nigerianische Tageszeitung Next. Seine Gedichtsammlung „Listen to the geckos singing from a balcony“ wurde 2007 mit dem Dorothy Sargent Rosenberg Poetry Prize ausgezeichnet. 2008 erschien sein Roman „Conquest und Conviviality“ (Eroberung und Geselligkeit).

■ Fußball ist Teil seines Lebens. Als Kind hat er den „Affen-Post-Fußball“ gespielt. Der findet auf Innenhöfen statt, es gibt keine Torhüter und keinen Einwurf von der Seitenlinie. Stattdessen wirft man den Ball gegen die Wand. Der Ball darf nicht höher als 30 Zentimeter über dem Boden gespielt werden.

Berlin ist Endstation, morgen früh geht es zurück nach Lagos. In nur vier Wochen war Tolu Ogunlesi in London, Madrid, Stockholm, Brüssel, auf der Art Basel und auf dem platten Land bei Freiburg. Immer den Freunden nach; in London traf er seinen Vater, der ist Arzt und nahm dort an einer Konferenz teil. „Reisen ist hier so einfach und billig – und keine Grenzen, Wahnsinn!“, der junge Schriftsteller aus Nigeria ist begeistert.

Wir stehen im Haus der Kulturen der Welt an der Bar Schlange. Kein Wunder, dass viele Afrikaner Europa besser kennen als ihren eigenen Kontinent. Das gelte auch für ihn. Ogunlesi spricht schnell, keine Ahnung, wann er mal Luft holt. Südafrika komme ihm ungleich entfernter vor als London. „Was für eine Bionade willst du?“, frage ich. „Die mit dem meisten Zucker“, sagt der 28-Jährige bestimmt. Auch das Bier ist ihm zu sauer. Er holt sein halb volles Bierglas, das noch bei den Bekannten auf dem Nachbartisch steht, und schüttet die Limonade hinein. Jetzt ginge es besser.

Ein Couchkarree mit weißen Polstern steht vor dem Flachbildschirm in der Ecke des Cafés, wir setzen uns hin. Warum wohl darauf verzichtet wurde, auf eine der Terrassen der Berliner Kongresshalle eine Leinwand aufzustellen? Es leuchtet uns nicht ein, anderen offenbar auch nicht. Das World-Cup-Viewing ist spärlich besucht. Aber die Atmosphäre in dem großartigen 60-Jahre-Bau leicht und elegant.

Hast du eine Lieblingsmannschaft unter den Europäern? Ogunlesi überrumpelt diese Frage. „Nein. Fußball ist für mich eine sehr nationalistische Angelegenheit, mich interessiert nur Nigeria.“ Klar, ist man selbst erstmal rausgeflogen, unterstütze man auch die anderen afrikanischen Mannschaften. Viele Nigerianer haben sich auf Facebook ghanaische Namen gegeben, und nach deren Niederlage gestern war dann der Running Gag: „Hey, du kannst wieder Nigerianer sein! Die Ghanaer haben’s auch versiebt.“ Weder Spanien noch Paraguay können Ogunlesis Aufmerksamkeit gewinnen. „Spanien gewinnt“, tippt er gelangweilt: 2:0. Er wird für längere Zeit nicht mehr auf den Bildschirm sehen.

Und was ist mit seinen Nigerianern? Immerhin hat Staatspräsident Goodluck Jonathan den Fußballverband nach dem frühen Ausscheiden der Mannschaft kurzerhand für zwei Jahre aufgelöst. „Für den Fußball ist das fatal“, Ogunlesi ist sichtlich besorgt. Ich könne mir sicher sein, dass jetzt nicht am Aufbau einer neuen Struktur gearbeitet würde. Der Präsident habe vielmehr auf die Pausentaste gedrückt, um die Enttäuschung der Bevölkerung für sich zu nutzen. Nächstes Jahr sind schließlich Wahlen.

Ogunlesis Leidenschaft gilt dem Schreiben, für seine Gedichtbände ist er vielfach ausgezeichnet worden. Gerade arbeitet er an einem Sachbuch zur Frage, warum Familien ihre Betriebe nicht von einer Generation in die nächste vererben, sondern sich ständig in Erbstreitigkeiten verheddern. Als Nächstes würde er gern einen der vielen Multimillionäre seines Landes porträtieren. Noch arbeitet er hauptberuflich als politischer Journalist für die Tageszeitung Next. Den Präsidenten hat er in seinen Kolumnen schon oft angegriffen.

Gab es schon mal Ärger deswegen? „Nein. Politiker nehmen meine Texte viel weniger ernst, als mir lieb ist.“ Er grinst. Generell würden in Nigeria seit dem Ende der Diktatur vor zehn Jahren Journalisten nicht mehr umgebracht, sondern gekauft. Entweder sie oder gleich die ganze Zeitung. „Du verdienst also gut?“, frage ich frech. Er übergeht meinen Scherzversuch, wir haben wohl nicht die gleichen Humorschulen besucht. Trotzdem haben wir es nett miteinander.

Ogunlesi fährt fort: „Korruption, das ist das Thema Nummer eins, auch unter den Intellektuellen, Redefreiheit ist nicht das Problem.“ Und die Wahlen? „Ja, mal sehen.“ Ogunlesi ist jetzt total konzentriert. Er engagiere sich in einer Kampagne, die die jungen Leute politisieren wolle. Obama-Style. Sie heißt „RSVP“, für „Register, Select, Vote, Protect Your Vote“. Inzwischen gebe es einfache Möglichkeiten, die abgegebene Stimme vor Manipulationen zu schützen. Du musst nur deinen Stimmzettel mit dem Handy fotografieren und an die entsprechenden NGOs senden. Jeder hat bei uns ein Handy.“ Zwei Demonstrationen haben sie schon organisiert, in Lagos und in der Hauptstadt Abuja. Immerhin, ein paar tausend Leute waren da. Nicht viel, aber überhaupt mal zu zeigen, wir erwarten etwas von der Politik, und wir sind keine Rumhänger, sondern wir haben Jobs und Ambitionen, das war schon gut. „Also bist du zuversichtlich?“ Ogunlesi lächelt breit: „Man darf nie zu viele Hoffnungen an ein Land knüpfen, das uns schon so oft enttäuscht hat.“

Viele Afrikaner kennen Europa besser als ihren eigenen Kontinent. Das gilt auch für Ogunlesi. Südafrika kommt ihm ungleich entfernter vor als London

„Was hat dich in Deutschland am meisten überrascht?“, frage ich kurz vor Spielende. Der höfliche Mann weicht zunächst aus und sagt dann zögerlich: „Mich hat schockiert, dass die Leute hier kein Englisch sprechen wollen.“ Er korrigiert sich: „Aber das ist mein Fehler: falsche Erwartung. Sie können es einfach nicht. Jetzt wird er doch ein wenig ungehalten: „Man merkt der ganzen Stadt an, dass sich niemand darum bemüht, es englischsprachigen Leuten leicht zu machen. Man ist stolz auf Deutschland, und das war’s. Damit hatte ich nicht gerechnet.“

Kurz vor Schluss bekommt Paraguay einen Elfmeter. „Das schafft er nicht, der ist zu nervös“, sagt Ongulesi. Und behält recht. Kurz darauf verschießen auch die Spanier. Ogunlesi springt auf. Für Dramatik ist er natürlich doch zu haben. Also Deutschland gegen Spanien. „Die haut ihr weg, kein Problem“, sagt er zum Abschied.