Peitsche statt Zuckerbrot

Sinkende soziale Standards im globalisierten Markt sorgen bei der Nordzucker AG für Unmut. Betriebsräte rechnen mit Konflikten mit der Konzernspitze. Standort bei Hannover wird geschlossen

Aus HermannsburgLUKAS SANDER

„Wenn Sie früher etwas vereinbart haben, dann galt das“, sagt Heinz-Dieter Paschwitz: „Handschlag und gut!“ Heute sei das bei der Nordzucker AG anders, so der Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende des zweitgrößten deutschen Zuckerproduzenten mit Sitz in Braunschweig. Da müsse er als Mitarbeitervertreter bei Verhandlungen mit dem Management schon zwei Kollegen neben sich sitzen haben, die alles dokumentierten.

„Die Atmosphäre ist frostiger geworden“, beklagt Paschwitz. Denn der wirtschaftliche Druck auf dem Unternehmen sei im Zuge der europäischen Zuckermarkt-Reform und von Exportbeschränkungen durch die WTO enorm gestiegen. Nordzucker-Vorstand Ulrich Nöhle fahre einen „radikalen Sparkurs“. Darüber werde im Unternehmen derzeit heftig gestritten, so der Mitarbeitervertreter. Nordzucker-Sprecherin Tanja Schneider-Diehl rechtfertigt die aktuellen Umwälzungen: „Das Unternehmen muss sich für den Weltmarkt aufstellen und kostengünstig produzieren.“

„Wir haben Verständnis für Sparzwänge“, sagt Betriebsrat Paschwitz. Streichorgien aber werde er nicht hinnehmen. Vor allem auf freiwillige soziale Leistungen wollten die 1.350 Mitarbeiter in Deutschland nicht verzichten. Die Gewinnbeteiligung beispielsweise wolle das Management ebenso streichen wie das jährliche Zuckerdeputat der Mitarbeiter.

Für die rund 100 Betriebsräte aus dem In und Ausland, die bis gestern in Hermannsburg in der Lüneburger Heide tagten, sind die Arbeitszeiten der Kernpunkt der Auseinandersetzungen. „Während der Rüben-Kampagne im Herbst gehen die Kolleginnen und Kollegen an ihre Grenzen“, sagt der Betriebsrat am größten deutschen Nordzucker-Standort Uelzen, Wolfgang Wichmann. Nachdem in den vergangenen Jahren Werke geschlossen und die Zahl der Beschäftigen verringert worden sei, stehe die wahrscheinlich längste Kampagne in der Unternehmensgeschichte bevor. Bis zu 100 Tage müssten die Mitarbeiter dann durcharbeiten. Die Betriebsräte fordern deshalb zwei freie Tage – planbar und garantiert. Doch das Nordzucker-Management wolle freie Tage allenfalls in Form einer Rufbereitschaft gewähren. „Freizeit auf Abruf – da kann sich niemand erholen“, meint Gesamtbetriebsrat Paschwitz. Nordzucker-Sprecherin Schneider-Diehl bleibt vage: „Das steht derzeit auf dem Prüfstand.“

Am stärksten werden die Strukturveränderungen bei Nordzucker die Beschäftigten im Werk Groß Munzel bei Hannover treffen. Ende des Jahres ist dort Schluss. „Dann bleiben von 85 Mitarbeitern noch zehn im Werk – zum Abriss“, sagt Betriebsrat Helmut Berlitz. Die Übrigen würden zwar nicht auf der Straße landen, viele müssten aber weite Wege zu anderen Werken in Kauf nehmen, sogar bis ins mecklenburgische Güstrow. Die meisten hätten ein Haus im Raum Hannover und müssten sich eine Zweitwohnung nehmen. Anders als es von Nordzucker angekündigt worden sei, komme kaum einer ins nahe gelegene Nordstemmen, so der Betriebsrat. Im Gegenteil: Dort würden sogar zehn Stellen abgebaut. „Die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen aus Nordstemmen müssen wir in Uelzen jetzt mit machen“, sagt Betriebsrat Wichmann. Zusätzliche Stellen würden nicht geschaffen. Das Unternehmen beruft sich auf eine schriftliche Vereinbarung aus dem vergangenen Jahr. Darin sei nicht festgelegt, wohin die Mitarbeiter versetzt würden.

Neue Nordzucker-Arbeitsplätze dürfte es künftig wohl nur im Ausland geben. Für ein Joint-Venture in Serbien haben die Behörden des Balkan-Staates vor einigen Tagen grünes Licht gegeben. Damit macht Nordzucker nun erstmals einen Schritt ins Nicht-EU-Ausland. Beim Treffen der Betriebsräte im kommenden Jahr dürften also auch Mitarbeiter aus Serbien mit am Tisch sitzen.