die taz vor 17 jahren über kohl und polen
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Keine andere Aufgabe von vergleichbarem Rang war Helmut Kohl während seiner Amtszeit gestellt. Was in den 50er Jahren der Neuanfang im Verhältnis zu Frankreich war, kann jetzt mit Polen erreicht werden. Vor dem 50. Jahrestag des Überfalls hätte dieser möglich sein müssen.

Zeit gab es genug. Vor zwei Jahren begannen die Gespräche der Außenminister. Geredet und verhandelt wurde über Wirtschaftsfragen, Sicherheitsfragen und auf Wunsch der Bundesregierung über Probleme der deutschen Minderheit. Erst verweigerte Kohl Genscher die Unterstützung für dessen Gespräche, dann ließ er Teltschik für sich mit den Polen verhandeln. Weizsäcker drängte öffentlich: Er sei bereit, am 1. September nach Polen zu reisen. Die bayerischen Nationalisten Streibl und Waigel aber ließen verlauten: Kein zweiter Kniefall und keine müde Mark an die Polen, „die ohnehin alles verwirtschaften“.

Die Polen haben in allen von Kohl hochgespielten nationalen und Minderheitenfragen nachgegeben. Gestritten wurde allein über die Freigabe von Hermes-Krediten in einer vertretbaren Höhe, um die „Zlotisierung“ jenes inzwischen längst abgeschriebenen Einmilliardenkredits und um einen neuen Kredit von ein bis drei Milliarden.

Ich frage: Ist das zuviel für einen Neuanfang mit so großen demokratischen Hoffnungen in Polen? Die Unterstützung unserer Nachbarn im 50. Jahr der Invasion soll unterbleiben, weil die CSU Angst vor den „Republikanern“ hat und der Kanzler sich wie eine von kleinlicher Parteitaktik abhängige Sparbüchse verhält? Selbst wenn noch irgendeine Einigung zustande kommt, die Chance zu neuem Denken und neuer Politik mit Osteuropa ist vorerst verpaßt.

Wer sich mit Bush und Gorbatschow feiern läßt, den Willen unserer osteuropäischen Nachbarn zu einem radikalen Neuanfang nur mit großen Worten unterstützt, der sollte besser das Wort Europa nicht länger in den Mund nehmen.

Helmut Lippelt, taz, 29. 6. 1989