Die SPD zählt ihre Abweichler

Und doch ist die Parteispitze überzeugt davon, dass die Föderalismusreform nicht scheitern wird

Am Freitagmorgen gibt es in der Fraktion noch einen Zählappell – sicher ist sicher

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Die SPD-Spitze glaubt ganz fest daran, dass der Bundestag die Föderalismusreform am Freitag mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit beschließen wird. „Eine Zustimmung wird an den Sozialdemokraten nicht scheitern“, sagt Parteichef Kurt Beck. „Die notwendige Mehrheit steht“, behauptet Fraktionschef Peter Struck. Das sind mutige Aussagen. Bei einer Probeabstimmung in der SPD-Fraktion am Dienstagabend votierten noch rund 40 Abgeordnete gegen das Gesetz. Das ist eine gefährliche Anzahl: Die große Koalition kann sich im Bundestag maximal 38 Abweichler leisten. Ist die Zuversicht der sozialdemokratischen Führungsleute also nur gespielter Zweckoptimismus? Oder der kühle Realismus von Politprofis?

Es ist wohl eine Mischung aus beidem. Die SPD-Spitze braucht den Erfolg unter allen Umständen. Die Föderalismusreform gilt als die wichtigste Verfassungsänderung seit 1949. Ein Scheitern des Gesetzesvorhabens würde die große Koalition schwer erschüttern. Und es würde die innerparteiliche Autorität des Partei- sowie des Fraktionsvorsitzenden in der SPD untergraben. Genau diesen Vorwurf, dass sie ihren Laden nicht im Griff hätten, mussten sich Beck und Struck in dieser Woche von der Union anhören. CSU-Generalsekretär Markus Söder hatte den SPD-Chef in der Koalitionsrunde am Sonntagabend ungewohnt scharf attackiert: Es sei ein Unding, dass Beck als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident dem Kompromiss bei der Föderalismusreform zustimme, ihn dann aber nicht in der eigenen Partei durchsetzen könne.

Damit war für Beck die Führungsfrage gestellt – ausgerechnet in einer für die SPD heiklen Angelegenheit. Es war ja ein fast einmaliger Vorgang in der sozialdemokratischen Fraktion, dass ein zentrales Gesetzesvorhaben flügelübergreifend auf Kritik und Ablehnung stieß. Bis Ende voriger Woche beharrten rund 60 Abgeordnete auf ihrem Nein zur Föderalismusreform.

Die Parteispitze musste ihre ganze Macht und ihr ganzes Geschick einsetzen. In der Nacht zum Montag verhandelten Olaf Scholz und Norbert Röttgen, die parlamentarischen Geschäftsführer von SPD und Union, noch einmal das Gesetzespaket – die Union kam der SPD mit Nachbesserungen bei der Zuständigkeit des Bundes in Hochschulfragen entgegen. Im Gegenzug gestattete die SPD der Union noch einige Korrekturen beim Antidiskriminierungsgesetz. Am Dienstag erschien Parteichef Beck zum ersten Mal höchstpersönlich in der Fraktion und warb für die Föderalismusreform. Dabei machte er sogar einen auf Mitleid und erzählte, es sei eine „Demütigung“ gewesen, bei der Union um Änderungen „betteln“ zu müssen.

Trotz der Verbesserungen, trotz des politischen Drucks, trotz des Lobes vor allem der Bildungspolitiker für das Verhandlungsgeschick von Struck – es blieben am Dienstagabend überraschend viele Gegenstimmen übrig. Scholz behauptet, er habe sie nicht gezählt, was natürlich eine Schutzbehauptung ist. In der Fraktionsführung wurde die Zahl der Abweichler – darunter viele Umweltpolitiker – auf „unter 40“ geschätzt. Einige hätten jedoch noch am gleichen Abend angekündigt, trotz ihres Neins in der Fraktion am Freitag mit Ja zu stimmen – die Reform sei zu wichtig und insgesamt vertretbar. Der Fraktionschef forderte alle Kritiker auf, sich bei ihm zu melden, wenn sie vorhätten, die Reform abzulehnen.

Bis Mittwochnachmittag haben das einige Abgeordnete getan. Deren Zahl soll unter 20 liegen. „Ich mache mir keine Sorgen mehr“, sagt Scholz. Trotzdem ist die Fraktion für Freitag 7.30 Uhr zu einer Sondersitzung geladen. Alle Jastimmen noch mal durchzählen. Sicher ist sicher.