MILLIONEN BERLIN-TOURISTEN UND ICH
: Kurze Hosen, Muskelshirt, Flip-Flops für einen Euro

VON ANDREAS HARTMANN

Es heißt ja immer, Berlin sei im Sommer am schönsten. Was eigentlich eine banale Aussage ist, denn Berlin im Winter, der gefühlt acht Monate dauert, ist so schrecklich, dass der Nicht-Winter nur erträglicher sein kann. Um so seltsamer ist es, dass an einem Rekordsommerwochenende wie dem letzten, an dem es angeblich heißer war als in Marrakesch, alle abhauten aus Berlin. Scheinbar hat jetzt jeder eine Datsche in Brandenburg, ein Grundstück am See, einen Garten außerhalb des S-Bahn-Bereichs oder zumindest ein Auto, mit dem man schnell an der Ostsee ist.

Zurück in Berlin blieben also bloß die Millionen Berlin-Touristen und ich. Unsere Aufgabe an diesem Wochenende lautete: möglichst 48 Stunden im Freien zu verbringen und permanent so zu tun, als würde man nicht gerade schwitzen wie ein Fußballspieler in der 120. Minute der Verlängerung.

Aber egal ob im Volkspark Friedrichshain oder dem urbanen Beach-Ressort Kiki Blofeld, wo man beim Erspüren des feinen Sandes unter seinen Füßen doch das Gefühl bekommt, man sollte jetzt woanders sein: Man kam sich stets vor wie ein Massentourist in seiner eigenen Stadt. Überall war es zu voll. Jeder trampelte einem über die Picknickdecke, und Menschen rempelten einen an, was sich anfühlte, als wäre man gegen einen Sack aufgequollener Watte gerannt. Morgens um vier wurde es schon wieder richtig heiß, an Schlafen war nicht zu denken. Und da man ja kein Gebäude betreten durfte, weil man dieses Rekordwochenende unbedingt total nutzen musste, blieb eigentlich nur die Bar 25. Da war die Schlange aber mal wieder viel zu lang und die Flaschensammler unterhielten eifrig ihre Mikroökonomie, indem sie um die leeren Bierflaschen der Easy-Jet-Touristen wetteiferten.

Ein wenig Platz für sich hatte man an diese Hitzetagen, die noch sommermärchenhafter waren als der Sommer des Sommermärchens vor vier Jahren, erst, als dann endlich wieder Fußball war. Vorausgesetzt natürlich, man gehörte nicht zu den Unglücklichen, die sich auf der Fanmeile verirrt hatten, um dort Fähnchen zu schwenken. „Wo waren Sie, als Thomas Müller das erste Tor gegen Argentinien geschossen hat?“, wird in zwanzig Jahren eine beliebte Fragebogenfrage sein.

Ich war da im Görlitzer Park, der versteppt und menschenleer war wie das Tal des Todes. Ein paar Krähen krähten und die Dealer dealten, aber sonst waren da nur diese mörderische Sonne und ich. Und von fern hörte man die Fußballböller aus der Sonnenallee, die verkündeten, dass gerade etwas Großes passiert sein muss. Ich aber war allein hier und trabte umher wie der melancholische Franz Beckenbauer auf dem Fußballplatz, als er 1990 den Titel geholt hatte. Ich trug kurze Hosen, ein Muskelshirt und Flip-Flops für einen Euro, ich sah also aus wie ein Vollidiot auf Mallorca. Aber das war schon in Ordnung so, denn es bekam ja sowieso niemand mit.

Und so dämlich wie diese Engländer, denen ich später irgendwo begegnet bin und die Trikots der deutschen Mannschaft trugen, um so zu demonstrieren, dass sie faire Verlierer sind, kann ich gar nicht ausgesehen haben. Engländer sollten keine Deutschlandtrikots tragen. Niemals. Auch nicht wenn sie denken, es würde daheim unbemerkt bleiben.