Vuvuzela ruft zum Freitagsgebet

SÜDAFRIKAS MUSLIME Die „Coloureds“ von Kapstadt sind eine Welt für sich. Aber anlässlich der WM entdecken auch sie Südafrika und den Fußball: „Die Menschen haben sich verändert“

„Wir sind hier nicht in Afrika, wir sind Südafrika. Afrika, das ist weiter oben“

FAHEEDA IN BO-KAAP

AUS KAPSTADT ELENA BEIS

Bo-Kaap, das farbig-muslimische Viertel von Kapstadt, liegt am Berghügel zwischen der Innenstadt und dem Fußballstadion. Trotz seiner zentralen Lage ist es eine Welt für sich. Sobald man die Straße von der Innenstadt zu Bo-Kaap hin überquert, hat man das Gefühl, Südafrika zu verlassen und mitten in Kairo zu sein. Statt kapholländischer Architektur und moderner Hochhäuser stehen hier dicht aneinander knallbunte Würfelhäuser. Männer und Frauen huschen in langen Gewändern über kopfsteingepflasterte Straßen. Von jeder Ecke aus ist das Minarett einer Moschee zu sehen. Zwischen den Häusern hängt an Leinen Wäsche zum Trocknen aus, die Alten sitzen vor ihren Häusern, Kinder spielen auf den Straßen.

Vor fünf Wochen hätte man hier vergeblich nach Fußballfans und Bafana-Trikots geschaut. Denn die Jungs und Männer von Bo-Kaap lieben und spielen Rugby. Fußball war bisher nicht ihr Ding, wie auch in allen anderen Vierteln der sogenannten Farbigen – der „coloureds“, wie man in Südafrika jene nennt, die weder „weiß“ noch „schwarz“ sind. Fußball galt als Sport der „Schwarzen“, mit denen man nichts zu tun haben will. Aber jetzt liegen die Rugbybälle in den Ecken, und Youngsters spielen mit Jabulani-Fußbällen.

Die etwa 4 Millionen „Cape Coloureds“ von Westkap, der Provinz, zu der Kapstadt gehört, sind Abkömmlinge der ersten weißen Siedler am Kap, einheimischer Schwarzer, aber auch ans Kap importierter Sklaven aus Malaysia, Indonesien, Madagaskar und Mosambik. Die 200.000 „Cape Malays“ praktizieren den Islam, Bo-Kaap ist ihr Viertel.

Während der Muezzin zum Gebet ruft, erzählt die alte Faheeda in Kopftuch draußen vor der Moschee: „Also, in unserer Gemeinde siehst du gleich, wer mit der WM ist und wer nicht! Zum Beispiel in dem gelben Haus da unten, die kleben vor ihren Fernsehern und gucken seit vier Wochen nur Fußball. Die Menschen waren sehr aufgeregt über Bafana Bafana. Ich habe noch nie Fußball geschaut, aber als ich Bafana gegen Mexiko hab spielen sehen, war ich sofort aufgeregt. Und wenn sie dann sie Straßen sperren und du von hier oben alle diese Menschen in unserer Stadt siehst – das ist wirklich schön. Diese ganzen Menschen von Übersee, jetzt sehen sie, wie es bei uns wirklich aussieht. Und sie sind beeindruckt. Denn sie haben gedacht, dass hier noch die Löwen frei rumlaufen! Sie denken, wir sind hier in Afrika. Aber wir sind hier nicht in Afrika, wir sind Südafrika. Afrika, das ist weiter oben.“

Kapstadt hat 130 Moscheen. Vor zwei Wochen war die muslimische Gemeinde von Kapstadt dermaßen vom Bafana-Bafana-Fieber ergriffen, dass der Muezzin seinen Aufruf zum Freitagsgebet sogar mit Vuvuzelagetröte aufpeppte. Die 24-jährige Simone Lightburn, die in einem heruntergekommenen Haus in Bo-Kaap mit drei weiteren Frauen lebt, findet: „Die WM ist großartig. Aber ich bin sehr traurig, dass Bafana es nicht geschafft hat. Sie haben McCarthy herausgenommen, deswegen haben sie verloren.“ Ihre 16-jährige Freundin Revona Pascoe kontert: „Aber McCarthy war übergewichtig.“ Simone schüttelt den Kopf: „Nein, McCarthey, das war unser bester Spieler.“ Hier in Bo-Kaap identifiziert man sich mit Benni McCarthy. Er ist ein „Cape Coloured“ aus dem Gangsterviertel Hanover Park, einem typischen „farbigen“ Viertel. Er gilt als einer der besten südafrikanischen Fußballspieler, wurde allerdings von Coach Carlos Parriera aus dem Kader gestrichen.

Der WM-Effekt ist mehr als ein WM-Fieber. „Diese WM hat viel verändert“, sagt Andrey Mentour, eine 38-jährige Mutter, die mit ihren Freundinnen vor ihrem knallorangefarbenen Haus in Bo-Kaap sitzt. „Beim Deutschland-Argentinien-Spiel saß ich hier oben und beobachtete die vielen Menschen. Ich hoffe, Kapstadt bleibt so. Wir sind alle näher aneinandergerückt.“

Fahima, eine obdachlose Farbige, die auf den Straßen von Bo-Kaap lebt, schaufelt einen Teller warmes Essen in sich hinein, Gabe einer Nachbarin. Auch sie findet: „Kapstadt hat sich verändert. Die Menschen haben sich verändert. Sie sind auf einmal viel netter. Sogar die Gangster.“

Heute Abend findet Kapstadts letztes WM-Spiel statt: Holland gegen die äußerst unbeliebten Uruguayer. Die sind schuld, dass zuerst Bafana Bafana und dann auch Ghana ins WM-Jenseits befördert wurde. Südafrika steht daher geschlossen hinter Holland. Auch Bo-Kaap. Jason, ein Boerewors-Verkäufer, sagt: „Ich habe Bafana unterstützt, dann Ghana, aber jetzt, wo Ghana auch draußen ist, unterstütze ich jedes Team, das gegen Uruguay spielt. Ich werde also heute für Holland schreien.“