One-Way-Ticket nach Kabul

Die Ankündigung von Innensenator Udo Nagel, afghanische Familien aus Hamburg abzuschieben, löst Empörung aus. 1.200 Afghanen soll die „freiwillige Rückkehr“ schmackhaft gemacht werden.

Von Marco Carini

Wenn Udo Nagel das Wort „freiwillig“ in den Mund nimmt, ist äußerste Vorsicht geboten – denn der Innensenator benutzt den Begriff selten in seiner allgemein üblichen Bedeutung. Die „freiwillige Rückkehr“, so teilte Nagel am Mittwochnachmittag mit, werde Hamburg „ab sofort“ ausreisepflichtigen afghanischen Familien anbieten. Und fügte im selben Atemzug hinzu: Wer nicht freiwillig gehe, werde „gegen seinen Willen zurückgeführt“.

Rund 1.200 aus Afghanistan geflohene Personen will der Senator in ihr einstiges Heimatland abschieben. Um die „Rückführung“ zu beschleunigen, sollen die Rückkehrwilligen neben den Flugtickets und einer Starthilfe von 500 Euro pro Erwachsenem noch einmal 1.000 Euro pro Person aus Hamburger Landesmitteln erhalten. Bei der geplanten Abschiebungsoffensive beruft sich Nagel auf die vor gut einem Jahr von der Innenministerkonferenz beschlossenen „Rückführungsgrundsätze“. Und eckt damit an.

So beklagt die SPD–Bürgerschaftsabgeordnete Ayan Özoguz, dass Nagel das „ein Jahr alte Papier“ zur Grundlage der angekündigten Abschiebungswelle nimmt, die „aktuelle Sicherheitslage“ in dem bürgerkriegsgeschüttelten Land jedoch nicht „berücksichtige“. Gerade aber „in jüngster Vergangenheit“ seien „auch Bundeswehrsoldaten Opfer von Anschlägen im normalerweise eher ruhigen Norden des Landes geworden“. Allein seit Anfang der Woche waren gleich dreimal deutsche Soldaten der Schutztruppe ISAF Ziel eines Anschlags geworden, drei Schleswig-Holsteiner wurden verletzt.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der GAL schlägt in die selbe Kerbe: Der Senator „hätte die Pflicht, die aktuelle Situation in Afghanistan zu bewerten“, statt „Familien mit Kindern in ein Land zurückzuschicken, in dem bürgerkriegsähnliche Kämpfe täglich Dutzende von Toten auch unter den Einheimischen verursachen“. Mit seinem erneuten Vorpreschen fahre Nagel „den bundesweit rücksichtslosesten Kurs gegenüber afghanischen Flüchtlingen“.

Der Sprecher der Innenbehörde, Marco Haase, hält dagegen: „Für die Behauptungen von Frau Möller, es gäbe täglich zivile Bürgerkriegsopfer, gibt es keine Belege. Die Gefährdung fremder Soldaten wird hier von den Gegnern jeder Rückführung instrumentalisiert“.

Für die Sprecherin der Grünen Jugend Hamburg, Linda Heidtmann, ist vor allem die finanzielle Begründung der geplanten Rückführungen „extrem zynisch und menschenverachtend“. Nagel hatte erklärt, damit Hamburg es sich auch in Zukunft leisten könnte „Menschen in Not“ mit „ganz erheblichen Mitteln aus dem öffentlichen Haushalt“ zu helfen, müssten „die auf Zeit aufgenommenen Menschen auch wieder in Heimatländer zurückkehren“.

Vor allem die afghanischen Kinder – die meist seit mehr als fünf Jahren hier lebten – seien durch „Schule oder Ausbildung hier verwurzelt“. Für die Rückkehrer wäre es zudem „ungemein schwierig, sich ohne Rückhalt eine Existenz aufzubauen“, beschreibt Heidtmann die Situation der afghanischen Flüchtlinge. Zumindest an einem Punkt aber gelobt die Innenbehörde Besserung: Sie will bei der Wahl des Ausreisezeitpunktes zumindest Jugendlichen, „deren Schul- oder Berufsausbildung zeitnah vor einem Abschluss steht, entgegenkommen“. In der Vergangenheit war es mehrfach zu Protesten gekommen, weil die Behörde junge Afghanen kurz vor ihrem Schulabschluss abschieben wollte.

Bereits im Mai 2005 hatte Hamburg als erstes Bundesland mit der Rückführung afghanischer Männer und Ehepaare begonnen. Von den 439 Personen, denen die Innenbehörde die „freiwillige“ Rückkehr offerierte, nahmen nur 91 das Angebot an. 66 Afghanen wurden zwangsweise abgeschoben, 161 aufgrund des Asylschlüssels auf andere Bundesländer verteilt. 121 Afghanen hingegen sahen sich gezwungen, in die Illegalität abzutauchen, um ihrer Abschiebung zu entgehen.