Der Taktgeber von links

Juan Pablo Sorin ist argentinischer Kapitän und linksliberaler Vorzeigeintellektueller mit jüdischer Herkunft. Er glaubt ganz fest daran, Deutschland heute aus dem WM-Turnier zu befördern

AUS HERZOGENAURACH ANDREAS RÜTTENAUER

Wenn Juan Pablo Sorin über Argentinien und sein Verhältnis zur Nationalmannschaft redet, werden seine Sätze nicht selten schwülstig. Von Liebe und Leidenschaft ist dann die Rede und vom Herzen, das seiner Heimat gehöre. Sorin ist Kapitän des argentinischen WM-Teams, er ist so etwas wie der Taktgeber auf dem Platz. Von hinten links versteht er es, den Rhythmus des Spiels vorzugeben. Auch außerhalb des Spielfelds ist er einer, der etwas zu sagen hat. Aber es muss nicht immer mit Fußball zu tun haben, was Juan Pablo Sorin von sich gibt.

Über den Außenverteidiger lassen sich keine Geschichten erzählen, die vom Aufstieg aus dem Elend der einfachsten Armenviertel in die reiche Welt des Profifußballs handeln. Sorin ist Spross einer Mittelstandsfamilie in Buenos Aires. Sein Vater lehrt Bauwesen an der Universität und ist ein angesehener Architekt. In seiner Familie gibt es Schriftsteller, Musiker und Journalisten. Und auch der Fußballer unter den Sorins äußert sich bisweilen wie ein Intellektueller. Zu Beginn seiner Karriere, als die Entscheidung für eine Profilaufbahn noch nicht endgültig gefallen war, moderierte Sorin eine Radiosendung in Buenos Aires, in der er auch politische Themen verhandelt hat. Aus seiner linksliberalen Gesinnung hat er dabei nie ein Geheimnis gemacht.

Über seine jüdische Herkunft allerdings spricht er nicht allzu gerne. Jüdische Organisationen würden Sorin gerne als einen Vorzeigesportler mit israelitischem Hintergrund präsentieren. Während sich José Pekerman, der Trainer der Nationalmannschaft, zu seinem Judentum bekennt, wehrt Sorin Fragen danach regelrecht ab. Als er vom argentinischen Fernsehen gefragt wurde, was er als Jude von der Teilnahme des Iran an der WM halte, antwortete er: „Lassen Sie uns das nicht von dieser Seite aus betrachten. Das hat damit nichts zu tun.“

Wie bei vielen Nachkommen jüdischer Immigranten, die vor mehr als 100 Jahren nach Argentinien gekommen sind, scheint auch bei Sorin der Assimilationsprozess so weit fortgeschritten zu sein, dass die jüdische Abstammung im Alltag keine Rolle mehr spielt. Sorin wurde 1976 geboren, in dem Jahr, in dem die Militärs sich an die Macht geputscht haben und begannen, ihr Unterdrückungsregime aufzubauen. Unter den 30.000 Menschen, die in der Zeit der Militärdiktatur verschwanden, waren auch etliche Juden, die als Unruhestifter verdächtigt wurden. Viele argentinische Juden entschieden sich in dieser Zeit, ihre Kinder nicht in jüdischen Einrichtungen erziehen zu lassen. Sorin wuchs in einer Zeit der künstlich beschleunigten Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft auf.

Wenn der Kapitän der Nationalmannschaft heute auf den Platz läuft, bekreuzigt er sich. In jüdischen Sportpublikationen wird gerätselt, ob er zum Christentum konvertiert ist. Auch darüber gibt Sorin keine Auskunft. Hört man ihm zu, scheint es nur eines zu geben, das er mit religiöser Inbrunst verehrt: die Nationalmannschaft. Um seine Verpflichtungen für die Auswahl nachkommen zu können, hat er vor zwei Jahren seinen damaligen Club Paris St. Germain verlassen. Der Trainer der Pariser, Vahid Halilhodzic, hatte von ihm verlangt, nicht mehr zu jedem Spiel der Nationalmannschaft zu reisen.

Das kam für Sorin nicht in Frage. Er wechselte nach Spanien, der insgesamt achten Station seiner bewegten Profikarriere. Ein erstes Engagement in Europa scheiterte früh: Bei Juventus Turin konnte sich der Kapitän der argentinischen Juniorenweltmeisterelf von 1995 nicht durchsetzen. Es folgte vier Jahre in Argentinien, wo er mit River Plate vier Meistertitel gewann. Dann wechselte er nach Brasilien, wo er zwei Jahre spielte und als Mannschaftskapitän mit Cruzeiro die Copa do Brasil gewann. 2002 begann dann eine Odyssee durch europäische Spitzenclubs. Sorin stand bei Lazio Rom unter Vertrag, beim FC Barcelona und bei Paris St. Germain. Vor zwei Jahren unterschrieb er einen Vierjahresvertrag beim FC Villareal.

In Spanien hat Sorin wieder begonnen, sich außerhalb des Fußballfeldes zu engagieren. Im vergangenen Jahr brachte er zusammen mit seiner Frau einen Sammelband mit Erzählungen verschiedener Autoren heraus. Der Erlös soll wohltätigen Einrichtungen der Kinderhilfe zukommen. Doch all das spielt in diesen Tagen keine Rolle. Da gilt die volle Konzentration Sorins dem WM-Turnier in Deutschland. Er ist sich sicher, sein geliebtes Nationaltrikot noch ein paarmal überstreifen zu dürfen in Deutschland. Und das Spiel gegen die Gastgeber heute Nachmittag? „Wir sind besser“, ist sich Sorin sicher.