So krass hat es der Coach noch nicht erlebt

EISHOCKEY Lange, sehr lange schon ist es für die Eisbären Berlin nicht so schlecht gelaufen wie in dieser DEL-Saison. Sind nur die vielen Ausfälle an der miesen Performance schuld – oder Trainer Jeff Tomlinson? Immerhin: Dank Pre-Play-offs ist noch nicht alles verloren

„Es ist ganz normal, dass die Spiele mit so einem Mini-Kader auf die Knochen gehen“

EISBÄREN-TRAINER JEFF TOMLINSON ÜBER GEWISSE ERSCHÖPFUNGSZUSTÄNDE SEINER MANNSCHAFT

VON JENS UTHOFF

Man stelle sich vor, Bayern München krebste plötzlich im Mittelfeld der Bundesliga herum. Ein neuer Trainer wäre da, und nach all den Jahren der Dominanz liefe der Laden nicht mehr. Braunschweig oder Nürnberg wären plötzlich ernst zu nehmende Gegner, von der Meisterschaft wäre kaum noch die Rede.

Nicht genauso, aber so in etwa muss man sich die Situation bei den Eisbären Berlin derzeit vorstellen. Der Verein war stark wie kein zweiter: Von neun möglichen Titeln seit der Saison 2004/05 holte er in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) sieben, nur 2007 und 2010 spielten andere noch besser.

Und nun? Etwa zwei Drittel der Saison sind absolviert, da stehen die Eisbären auf Platz neun der Tabelle, exakt 23 Punkte hinter dem Spitzenreiter, den Hamburg Freezers. Gegen die setzte es zuletzt am vergangenen Dienstag eine 0:3-Niederlage – es war die vierte in Folge. Das ausgegebene Saisonziel Meisterschaft mutet fast surreal an.

Aber nicht nur, dass die Eisbären in der dicksten Krise seit dem Verpassen der Play-offs 2007 stecken – es wirkt auch, als kämen sie da nicht so schnell wieder heraus. Zwar verliert Trainer Jeff Tomlinson seinen Optimismus nicht: „Die Stimmung ist trotz unserer Situation gut, die Jungs sind heiß“, sagte er nach dem Training am Donnerstag. Für viele Fans sind das jedoch nur noch Durchhalteparolen. Zuletzt wurde Tomlinson ausgepfiffen. „Das tut natürlich weh“, sagt er, „im Verein spüre ich aber ausnahmslos Unterstützung, und das ist mir wichtig.“ Fans wie Medien spekulieren längst über seine Entlassung.

Nicht so überraschend

So überraschend kommen die Probleme dabei nicht. Zu Saisonbeginn hatte Tomlinson den Erfolgstrainer Don Jackson abgelöst – dass das übergangslos gelingen würde, glaubten selbst die härtesten Fans nicht. „Mir war klar, dass es schwer werden würde, aber dass wir in eine solche Situation geraten, mit diesen vielen Ausfällen, habe ich nicht für möglich gehalten“, sagt der 43-Jährige. Die nächsten Spiele werden wohl über Tomlinsons Zukunft entscheiden, auch wenn der Klub aktuell jegliche Spekulation über den Trainerposten bestreitet. Heute Abend spielt man gegen Adler Mannheim (19.30 Uhr, Arena am Ostbahnhof) und am Sonntag in Krefeld.

Tomlinson, als Spieler zwischen 2000 und 2004 bei den Eisbären, war als DEL-Coach zuvor in Düsseldorf und Nürnberg tätig. Als Trainer war er in der DEL bisher glücklos. Allerdings entließ man ihn bei den vorigen Stationen auch in den ersten größeren Krisen – ein Schicksal, das nach Vereinsangaben vorerst nicht droht. Dass man den Coach nur aus finanziellen Gründen hält (er hat einen Zweijahresvertrag und müsste bis 2015 bezahlt werden), dementiert man von Seiten des Klubs: „Wir denken mittel- und langfristig“, sagte Manager Peter John Lee am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Man sei von Tomlinsons Qualität als Trainer überzeugt.

Die Probleme auf die Personalie Tomlinson zu beschränken, hieße eben auch, die Situation zu verkennen. Zum einen fehlt den Eisbären aktuell die halbe Mannschaft: „Ein paar Verletzte sind normal, aber so krass habe ich es noch nicht erlebt“, sagt Tomlinson. Neben den bereits länger pausierenden Rob Zepp (Torwart), Jens Baxmann (Verteidiger), André Rankel, Florian Busch, Julian Talbot und Mads Christensen (alle Sturm) fehlten zuletzt aus Krankheitsgründen auch noch die Verteidiger Constantin Braun und Shawn Lalonde. Das wäre dann etwa so, als fehlten den Bayern nicht nur Schweinsteiger und Lahm, sondern gleichzeitig noch Robben, Ribéry und Torwart Neuer. Fast alle Eisbären-Spieler, die derzeit ausfallen, sind Leistungsträger. Zur Kompensation holte man im November lediglich den kanadischen Stürmer Mark Bell.

Vielleicht lässt sich so erklären, dass die Eisbären ganze 89 Törchen in 35 Spielen zustande gebracht haben – nur Schlusslicht Düsseldorf gelang es, den Puck noch seltener im Tor zu platzieren. Satte 40 Tore mehr hatten die Berliner zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison auf dem Konto. Zuletzt war aber auch zu beobachten, dass den Spielern – etwa bei der Niederlage in Hamburg – gegen Ende des Spiels Kraft und Kondition fehlten. „Es liegt nicht an der Kondition einzelner Spieler“, sagt Tomlinson, „es ist ganz normal, dass die Spiele mit so einem Mini-Kader auf die Knochen gehen.“ Nicht selten werden die Partien im Drei-Tage-Takt ausgetragen. Insbesondere für Nachwuchsspieler wie Jonas Müller und Jonas Schlenker, die man zuletzt einsetzte, vielleicht noch ein zu hohes Pensum.

Die Fans sind angesichts der Misere gespalten. Der Großteil scheint inzwischen in Trainer Tomlinson den Verantwortlichen zu sehen: Seit der jüngsten Pleite posten User „Trainerwechsel!!! Hoffentlich bald!!!“ auf die Facebook-Seite des Klubs oder: „So, liebes Management … genug in der Sonne vergangener Ruhmestaten gesonnt … Willkommen in der Realität! Bitte endlich handeln und aufhören eure Fans zu verscheißern!“

Solidarische Ultras

Für andere Fans, wie etwa die Black-Corner-Ultras, sind Krisen hingegen Teil der sportlichen Realität: „Wir pfeifen weder Trainer noch Spieler aus. Wir fordern auch nicht, dass Köpfe rollen. Verlieren gehört zum Sport dazu“, sagt ein Anhänger gegenüber der taz. In dieser Saison kamen bisher im Schnitt 12.350 Besucher zu den Eisbären-Matches, in der Vorsaison waren es noch über 14.000. Das dürfte eher an der sportlichen Talfahrt als an den gestiegenen Ticketpreisen liegen, denn im Streit um die Preise für DEL-Spiele war es Ende vergangener Saison zur Einigung mit den Fans gekommen.

Der Modus in der DEL, und das ist das Positive an der aktuellen Krise, lässt den Berlinern immerhin noch die Möglichkeit, eine verkorkste Saison zu retten. Die Hauptrunde endet am 07. März, danach beginnt die Endrunde, die Play-offs. Die ersten sechs Teams der Hauptrunde erreichen sie direkt, die Platzierten der Ränge sieben bis zehn spielen weitere zwei Play-off-Teilnehmer in Entscheidungsspielen aus („Pre-Play-off“).

Nach derzeitigem Tabellenstand reicht es für die Berliner gerade für die Pre-Play-offs. Noch 17 Spiele liegen in der Hauptrunde vor ihnen. Coach Tomlinson zweifelt nicht am Erreichen der Endrunde: „Vieles ist möglich, wenn wir erst mal die Play-offs erreicht haben.“ Irgendwie redet er noch immer so, als sei er Trainer eines FC Bayern des Eishockeys.